Hochzeit

PHILOSOPHIE

der Alchemie

Die "Chymische Hochzeit" des Johann Valentin Andreae und ihre alchemisch-symbolische Bedeutung

Copyright 2007 by Wolfram Frietsch

Mit diesen Worten beginnt die Erzählung Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz Anno 1459 des Johann Valentin Andreae, die zuerst 1616 als Buch erschienen ist. Der Held der Chymischen Hochzeit ist eine Person namens Christian Rosencreutz.1 Er durchlebt in sieben Tagen eine mystisch-rosenkreuzerische Einweihungs- oder Initiationsgeschichte, in der er bei einer »chymischen Hochzeit«, Symbol der Verwandlung und Erneuerung, der Gegensatzvereinigung und Einheit, anwesend ist und mitwirkt. Der Name »Chymische Hochzeit« legt nahe, dass es sich um eine alchemische Geschichte handelt, die aber mit rosenkreuzerischer Bedeutung durchwoben sein muss, wie der Name des Protagonisten bereits andeutet.2 

Am Tag vor Ostern, nach protestantischer Zählung also am Gründonnerstag, sitzt Christian Rosencreutz meditierend in seinem Haus. Er hält Zwiesprache mit Gott und nennt ihn “ kabbalistisch angehaucht “ »Vater des Lichts, seine Majestät«3. Christian Rosencreutz wird dabei durch einen starken Wind in seiner Meditation gestört und am Rücken berührt. Ein nicht unwesentliches Detail, denn das Unerwartete kommt nicht offen durch die Vordertür, sondern quasi durch die Hintertür und zudem unvorhergesehen. In der Psychologie würde man in einem solchen Moment vom »Schatten« sprechen, der einen »überfällt« oder »angeht«. Aber der eigentliche Auslöser für das Neue und Unerwartete ist der Wind.

HIER FEHLT NOCH DIE GRAFIK

Titelseite des Erstdrucks der Chymischen Hochzeit: Die Monas-Hieroglyphesteht hier auf dem Kopf!

Winde sind nicht bloße Luftbewegungen, sondern Übernatürliche Manifestationen, die Absichten der Götter bzw. Gottes darstellen. In der Bibel bedeutet das Wort »Ruach« (grammatikalisch weiblich!) auch »Geist«, »Hauch« und »Atem«. Gottes »Ruach« schwebt am Anfang der Welt über dem Wasser. Im Neuen Testament heisst es, dass der Wind weht, wo er will. Du hörst sein Sausen, du weisst jedoch nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es mit jedem, der geboren ist aus dem Geist. (Joh. 3,7 f.) 

Eine Frau im blauen Kleid mit goldenen Sternen übergibt dann Christian Rosencreutz einen Einladungsbrief. Die Farbe Blau weist auf den Mond hin, aber auch auf den Himmel und das Himmelszelt. Auf dem Einladungsbrief ist das Zeichen des Kreuzes zu sehen (ohne Rose!) und der Spruch: In diesem Zeichen wirst du siegen. Hier taucht also das Kreuz zum ersten Mal auf. Es handelt sich um eine Einladung zu einer königlichen Hochzeit. Das Gedicht dazu lautet folgendermaßen:

Heut, Heut, Heut, HIER FEHLT AUCH NOCH DIE GRAFIK

Ist des Königs Hochzeit, 

Heut, Heut, Heut,Bist du hierzu geboren, 

Von Gott zu Freud erkoren, 

Magst auf den Berge gehen, 

Darauf drei Tempel stehen, 

Daselbst die Geschichte besehen.

Halt Wacht, 

Dich selbst betracht, 

Wirst dich nicht fleißig baden, 

Die Hochzeit kann dir schaden. 

Schad hat, 

wer hie verzeucht, 

Hüte sich, 

wer ist zu Leicht. 

Sponsus et Sponsa 

Das dreimalige »Heut« weist auf die Dringlichkeit der Hochzeit des Königs hin; wo bleibt aber dabei die Königin? Man muss in Gottes Freude geboren sein, um daran teilnehmen zu können. Erst dann kann man auf einen Berg, auf dem drei Tempel stehen “ was aber nicht der Geschichte und dem Ort entspricht, an dem die Handlung spielt “, dies alles selbst miterleben. Man muss wachsam sein und rein bzw. gereinigt, sonst kann man durch die Hochzeit Schaden nehmen. Auch muss man wichtig bzw. ge-wichtig sein “ ein Vorausgriff auf die Prüfung mit der Waage am dritten Tag “ denn wer zu »leicht« ist, dem wird die Hochzeit ebenfalls schaden. Unterzeichnet haben aber beide: Braut und Bräutigam bzw. König und Königin. 

Neben dem Gedicht ist die »Monas-Hieroglyphe« des John Dee abgebildet. Sicherlich sind die Komponenten der Monas-Hieroglyphe in der einen oder anderen Zusammensetzung schon bekannt gewesen, aber in einer solch typischen Konstellation findet sie sich nur bei John Dee. Weil die Monas-Hieroglyphe erst 1564 veröffentlicht wurde, ist es merkwürdig, sie auf einer Einladung aus dem Jahre 1459 zu finden. Es sind die sieben traditionellen Planetensymbole, die in einem Symbol zusammengefasst sind, das im weitesten Sinne aussieht wie das Zeichen für Merkur. 

Interessanterweise hatte Christian Rosencreutz bereits vor sieben Jahren eine Vision von dieser Hochzeit. Er ist also erschrocken, aber nicht unvorbereitet. Er denkt über dieses Ereignis nach, bedient sich der Astrologie und hofft auf eine Antwort durch seinen »guten« Engel: 

Vielleicht würde mir mein guter Engel aus Göttlicher Vorsehung erscheinen, in diesem Zustand des Zweifels, wie er mir schon oft erschienen ist und mir dann berichten, was zu tun sei, zu Gottes Lob, mir zum besten und meinem Nächsten zu treulicher und herzlicher Warnung und Besserung. 

Er hat einen entsprechenden Traum, in dem es ebenfalls um die Zahl Sieben geht: Mit anderen ist er in einem finsteren Turmverlies gefangen. Es werden jene freigelassen, denen es gelingt, ein Seil, das sieben Mal (!) hinabgelassen wird, zu ergreifen, um sich daran hochziehen zu lassen. Christian Rosencreutz schafft es im siebenten (!) und letzten Versuch.4 Christian Rosencreutz und die anderen werden »erlöst«, wie es die alte Frau und ihr Sohn - eine Anspielung auf Maria und Jesus “ ausdrücken. Später wird er sich freiwillig mit einem Seil binden lassen, um erneut auf eine andere Art befreit zu werden. Der Turm symbolisiert den Weltachsen-Gedanken im Sinne einer Verbindung von Himmel und Erde. Der Turm ist immer Mittelpunkt der Welt und der Bezugspunkt zum Himmel. 

Am anderen Morgen rüstet sich Christian Rosencreutz zur Hochzeitsfeier: 

Darauf rüstete ich mich auf den Weg, zog meinen weißen Leinenrock an, umgürtete meine Lenden mit einem blutroten Band kreuzweise über die Schultern gebunden. Auf meinen Hut steckte ich vier rote Rosen: damit ich unter den anderen durch solche Zeichen eher bemerkt werden könnte. 

Unser Held zieht ein weißes Gewand an mit einem roten Gürtel und Bändern, die ein Kreuz über seiner Brust bilden. Auf den Hut steckt er vier (!) Rosen. Er nimmt noch Brot, Salz und Wasser mit als Zeichen der Gastfreundschaft. Dieses wird er später benötigen, um Einlass in das Schloss zu finden. Doch bei all der Vorbereitung und demütigen Haltung des Fahrenden fehlt etwas Wichtiges: das Hochzeitsgeschenk. Dies könnte uns zur Annahme verleiten, daß Christian Rosencreutz selbst dieses Geschenk sein wird, ohne dass er es selbst weiss! 

Wir finden hier die typischen alchemischen Farben Weiß und Rot vor, die die jeweiligen Zustände des alchemischen Werkes ausdrücken. Schwarz ist zwar nicht explizit angeführt, aber als symbolischer Zustand, in dem sich Christian Rosencreutz befindet, ersichtlich.5 Schwarz bezeichnet die sogenannte Nigredo, die Schwärzung, den Anfangszustand des Werkes. Der Schwärzung folgt die Weißung, die Albedo. Ein inneres Licht ist entzündet und ein Alchemiker sagt: Wenn die Materie weiß wird, hat unser König den Tod besiegt. Der Zustand der Albedo ist für die Alchemiker ein Zwischenzustand. Der nächste Zustand der Rötung zeigt, daß das Gift, die Schlacke oder eben jegliche Unvollkommenheit aus der Materie herausgezogen wurde. Der rotgewandete König herrscht über sein Königreich. Er symbolisiert die Kraft, die Macht, das Feuer. Die Rötung ist das Ziel der Alchemiker.

Zweiter Tag 

Am zweiten Tag, dem Karfreitag, beginnt die eigentliche Reise des Christian Rosencreutz. Dieser ist fröhlich und guter Dinge. Er kommt in den Wald und findet Bäume mit verschiedenen Hinweis-Tafeln. Auf einer wird der Weg zur Hochzeit beschrieben. Es gibt vier Wege: Der erste Weg ist kurz und gefährlich. Der zweite ist länger, leicht zu finden, man muß sich aber darauf wie von einem Magneten ziehen lassen. Der dritte Weg ist der Königsweg, den nur einer von 1000 beschreiten kann.Der vierte Weg ist für keinen Sterblichen bestimmt. (Man fragt sich allerdings, wie all die vielen Menschen dann ins Schloß gekommen sein sollen) 

Die Tafel enthält die Warnung, umzukehren, wenn man gegen die Gesetze des Königs verstoße. Der gute Christian Rosencreutz rastet erst einmal und beginnt zu essen. Er gibt einer weißen Taube etwas von seiner Speise ab. Doch ein schwarzer Rabe kommt ihr zuvor. Er eilt dem Raben nach und gelangt so, beinahe zufällig, auf den zweiten Weg, den Mittelweg der möglichen drei Wege, da man den "unmöglichen" vierten Weg außer Acht lassen muß. 

Interessanterweise ist es der Rabe, der Christian Rosencreutz auf seinen Weg bringt, und nicht die Taube. In der alchemischen Symbolik stellt der Rabe die geschwärzte "prima materia" auf dem Weg zum Stein der Weisen dar, womit die Nigredo in verwandelter Form auftritt. Christian Rosencreutz muß also zuerst dem Raben folgen und nicht der weißen Taube, Sinnbild der Weißfärbung (albedo), der sich zum "Stein der Weisen" wandelnden "prima materia", denn sonst hätte er den zweiten Schritt vor dem ersten getan. Aus diesem Grunde folgt er dem Raben, unbewußt und nicht gerade freiwillig, sogar ein bißchen im Zorn. 

Der Rabe fliegt gegen Mittag, die Himmelsrichtung Süden also, womit wieder der Mittelweg symbolisiert ist. Christian Rosencreutz kommt nun tatsächlich an den Berg und muß drei Portale durchschreiten. Am ersten Portal begegnet er einem Wächter in himmelblauem Kleid und sieht eine Tafel mit der Inschrift: Hinweg von hier, hinweg Uneingeweihte! Er muß seinen Einladungsbrief vorzeigen und nennt zum ersten Mal seinen vollen Namen: Ich bin der Bruder von dem Roten Rosen Creutz. 

Was bedeutet nun dieser Name? Erinnern wir uns, daß sich weder in der 'Fama Fraternitatis' noch in der 'Confessio Fraternitatis' der Name "Christian Rosencreutz " in dieser Form findet, so bleibt allein der Verfasser als Namensgeber übrig. Das Familienwappen der Andreae stellt übrigens ein Kreuz ("Andreaskreuz") mit vier Rosen dar. Die Rosen befinden sich in den Zwischenräumen des X-förmigen Kreuzes angeordnet. Aufgrund dieses Umstandes liegt es nahe, auf den Namen "Rosen Kreuz" zu schließen, also ein Kreuz mit Rosen. "Christian"; wird dann zu einem Attribut dieses "Rosen Kreuzes", das christlicher Natur sein soll. Damit wäre nicht nur der Name "Christian Rosenkreuz" geklärt, sondern auch dessen Identität als Pseudonym für Johann Valentin Andreae bestimmt. In dem Sinne ist der Name Christian Rosencreutz ein alter ego für Johann Valentin Andreae, der sich selbst in die 'Chymische Hochzeit' eingeschrieben hat.6 

Christian Rosencreutz muß beim Türhüter ein Zeichen kaufen und tauscht sein Fläschlein mit Wasser gegen eine Tafel. Er erhält noch einen Brief für den zweiten Türhüter. Bei diesem liegt dann ein wilder Löwe. Auch hier erhält er - gegen das Salz - ein Zeichen. An der dritten Pforte wird er mit den Worten empfangen: "Congratulor - ich begückwünsche dich" und "Condoleo - ich leide mit dir". Er nennt seinen Namen und erhält ein drittes Zeichen in Form eines Spruches. 

Ihm wird, da es inzwischen Abend geworden war, mit Fackeln geleuchtet. Auch wird ihm, im Schloß angekommen, eine Tonsur geschnitten, Zeichen des Neuanfangs und der Priesterwürde. In einem Saal trifft er auf die anderen Hochzeitsgäste. Das Abendessen verläuft mit viel Prahlereien. Eine Jungfrau mit einem "schneeweißen"7 Kleid verkündet, daß der König nicht mehr fern sei und daß alle hier Anwesenden schon lange auf diesen Moment vorbereitet wurden, daß sie also hierher berufen wurden. Es wird außerdem eine Prüfung mit einer Waage angekündigt. Christian Rosencreutz läßt sich mit neun anderen Gästen mit Stricken binden, um zu "büßen", um so vor der morgigen Prüfung bestehen zu können. Ein interessantes Bild: Man läßt sich freiwillig mit Stricken binden, verwickelt sich also bewußt und begibt sich so in Abhängigkeiten, um daraus "befreit" und "gereinigt" zu werden. Die Parallele zur Alchemie ist deutlich: "Solve et coagula - Löse und Binde, oder besser: Binde und Löse". 

Dritter Tag 

Am dritten Tag stehen die Waage und der Prozeß des Wiegens bzw. "Ab-Wägens" im Zentrum des Geschehens. Es werden - natürlich - sieben Gewichte gebracht, die auf der einen Waagschale Platz finden. Die Teilnehmer werden in sieben Gruppen aufgeteilt und jede Gruppe wird einem Gewicht zugeordnet. 

Im Gegensatz zur ägyptischen Vorstellung, in der das Herz gewogen und, wenn es zu schwer ist, verworfen wird, ist es hier genau umgekehrt. Die zu Wiegenden müssen schwer genug sein, um die Gewichte auszuhalten. Sie müssen sich der ihnen auferlegten Gewichte würdig erweisen.Wer also gewichtig genug ist, ist der am meisten Geehrte. Gewichtig meint hier natürlich wichtig im Sinne von würdig. Im Ägyptischen Totenbuch heißt es demgegenüber: Man hat keinen Tadel an mir gefunden, so daß die Waage leer ist von meiner Schuld. (Spr. 1, 66) 

Das Symbol der Waage ist sehr komplex. Die Waage ist das siebente (!) der zwölf Tierkreiszeichen und steht für Eigenschaften wie Mäßigung, Abwägen, Gerechtigkeit, Harmonie, friedliches Temperament und Neigung zum Zögern. Interessanterweise heißt es in den Sprüchen Salomons: Falsche Waage ist dem Herrn ein Greuel, volles Gewicht findet sein Gefallen (Sprüche Salomonis 11,1). So macht es durchaus Sinn, wenn derjenige, der nicht von den Gewichten nach oben gedrückt wird, die Prüfung besteht und sich als würdig erweist. Passenderweise wird Christian Rosencreutz am siebenten Tag unter der Flagge der Waage auf einem Schiff dahinfahren, um den König zu sehen. 

Das Sternzeichen "Waage" ist dem Planeten Venus zugeordnet, die wiederum die Eingangspforte zum Großen Werk der Alchemie ist, weil das Große Werk nicht aus Egoismus begonnen werden kann, sondern im Zeichen der "Liebe", eben der Venus.Wenn also Christian Rosencreutz die schlafende Venus in ihrem Grabgemach besucht, so leitet er damit am fünften Tag die "Chymische Hochzeit " bzw. die alchemische Wandlung ein. 

Christian Rosencreutz besteht die Prüfung des Wiegens, bezeichnenderweise nicht als Siebenter sondern als Achter! Dabei ruft ein Knabe bei der Waage aus: "Der ists!" Hier wird Christian Rosencreutz zum ersten Mal öffentlich als besondere Persönlichkeit erkannt und darf dann einen besonderen Platz an der Festtafel einnehmen. All diejenigen, die die Waageprüfung bestanden haben, erhalten das goldene Vlies mit einem fliegenden Löwen verliehen. 

Der "Orden vom Goldenen Vlies" wurde 1429 in Burgund von Philipp dem Gütigen in Anschluß an seine sagenhafte Argonautenfahrt gegründet, basiert also auf einer mythologisch-esoterischen Vorlage. Das "Goldene Vlies" ist Symbol für ein Buch bzw. eine Schrift mit dem Geheimnis des Goldes. Die Jungfrau Alchimia ist das Oberhaupt dieses Ordens. Jene die die Waageprüfung nicht bestehen, werden entweder vom Schloß gewiesen, getötet oder bestraft. Muß man also den Satz auf der Tafel, die vor dem Schloß angebracht war: "Hinweg von hier, hinweg Uneingeweihte!" auch so verstehen, daß sich doch einige berufen fühlten, die es gar nicht waren? 

Die Verbleibenden werden im Schloß herumgeführt und können allerlei Dinge, Gegenstände und Räumlichkeiten bestaunen. Am Abend erzählt man sich Geschichten - auch solche mit leicht anzüglichem Inhalt. Jedenfalls wird die nämliche Leiterin der Gesellschaft nach ihrem Namen gefragt, und sie antwortet darauf mit einem Zahlenrätsel, aus dem wir entnehmen können, daß sich Johann Valentin Andreae auch in der deutschen Gematria auskannte, also in der Zuordnung von Zahl zu Buchstabe. 

Die Jungfraw lächlet meines Fürwitz, ließ sich doch nichts bewegen, sonder antwortet: Mein Nam helt fünff und fünfftzig, und hat doch nur acht Buchstaben, der dritte ist deß fünfften drittertheil, kompt er dann zu dem sechsten, so wirt ein zahl deßen Radix schon umb den ersten Buchstaben grösser wirt, dann der dritte selbst ist und ist deß vierdten halbtheil. Nuhn seind der fünfft und siebent gleich, so ist der letst dem ersten auch gleich, und machen mit dem anderen soviel als der sechste hat, der doch nuhr umb vier mehr als der dritte dreymal hatt: Nun sagt ihr mir mein Herr, wie heiß Ich? Die Antwort war mir krauß gnug, noch ließ ich nit nach: Sprach, Edle und Tugentsame Jungfraw, mochte ich nit einen einigen Buchstaben erlangen? Ja wol sprach sie, daß ist wol zuthun, was mag dann, antwortet ich wider, der Siebendt haben? Er hat, sprach sie, so viel als der Herren hie seind: Hiemit war ich Content, und fand ihren Namen leichtlich: deßen sie wol zufrieden war, mit vermelden, es solte uns noch wol mehrers unverborgen sein. [Hervorhebungen von W. F.] 

Die Antwort darauf ist ALCHIMIA, was sich wie folgt ergibt: 

1.     2.     3.     4.     5.     6.     7.     8. 

A      L      C      H     I       M     I       A 

1     12     3       8     9     13     9      1 

Netterweise schenkt dann Christian Rosencreutz der ALCHIMIA seine drei Tage alten Rosen. 

Vor dem Schlafengehen werden die Anwesenden noch einmal eindringlich belehrt. In der Nacht hat Christian Rosencreutz einen Alptraum von einer Tür, die er nicht zu öffnen vermag. 

Vierter Tag 

Am vierten Tag verschläft Christian Rosencreutz das Frühstück. Er wird dann zu einem Brunnen geführt, an dem sich ein Löwe mit einer Tafel befindet. Die Tafel ist dem Hermes Trismegistos gewidmet.9 Alle waschen sich im Brunnen und die Versammlung wird über 365 Stufen in einen Raum geführt, in dem sie das Königspaar vermuten. Der Vorhang wird aufgezogen und sie sehen drei Stühle, die kreisförmig angeordnet sind: 

Auf dem ersten Stuhl sitzt ein alter König mit grauem Bart und einer jungen und schönen Gemahlin. Auf dem zweiten Stuhl sitzen zwei junge Menschen mit Lorbeerkränzen und einer Krone über ihren Häuptern, auf dem dritten Stuhl sitzt ein schwarzer König mittleren Alters mit einem feinen, alten Mütterlein mit Schleier. Vor der Königin steht ein Altar mit einem schwarzbesamteten Buch, einem elfenbeinenen Leuchter, einer Sphära oder Himmelskugel, einer Uhr, einem Brunnen mit blutrotem Wasser und einem Totenkopf mit weißer Schlange. Es gibt etwas zu essen mit schlüpfrig-scherzhaften Gesprächen und anschließendem Tanz. 

Eine Komödie in sieben (!) Akten mit fünf Zwischenspielen - was zusammen zwölf ergibt - wird angekündigt, auf die wir nicht näher eingehen können. Die Zahl Zwölf - sie steht für den Tierkreis - und die 365 - sie steht für das Jahr - sind beides Zahlen, die eine Ganzheit und Vollendung bzw. Vollkommenheit im Sinne des Kreises oder der Kugel ausdrücken. 

In der Pause zwischen einem der Akte läßt man einen Löwen und einen Greifen kämpfen: der Löwe siegt. Dieses Zwischenspiel hat einen politischen Bezug, denn der Kurfürst Friedrich von der Pfalz - dadurch bekannt geworden, daß die Rosenkreuzer sehr viel Hoffnung in ihn setzten - hat als Wappentier den Löwen.

Nach dem Abendessen wird ein Buch gebracht. Jeder muß sich dem König verschreiben und den Schweigetrunk nehmen. Ein Glöcklein läutet, die Paare, nun ganz in Schwarz,werden nach und nach enthauptet. Es werden sechs Särge hereingebracht, ein schwarzer Mann mit einem Beil schlägt ihnen allen die Köpfe ab. Das Blut wird in einem Pokal aufgesammelt. Auch der schwarze Mann wird enthauptet. Die "Chymische Hochzeit" wird nun zu einer "blutigen Hochzeit"

Die Jungfrau spricht zu ihnen: Dieser Leben stehet nun in eurer Hand, und wenn ihr mir folgt, soll ein solcher Tod viel mehr lebendigmachen. Sie gehen schlafen.

Christian Rosencreutz sieht aber zufällig sieben Schiffe übers Wasser fahren und über jedem Schiff schwebt eine Flamme, der Geist des Enthaupteten. Die sechs Särge und ein Kästlein werden auf die Schiffe verteilt und die sechs Flammen fahren mit den Schiffen über den See. Damit endet der vierte Tag. 

Was haben wir gerade erlebt? Es werden insgesamt sieben Personen enthauptet. Ihnen wird der Kopf abgetrennt, aber nicht die Glieder. Der Kopf, der ja für den Intellekt und den Verstand steht, wird also vom Körper abgetrennt. Damit sind die Personen nicht nur kopflos, sie müssen eine andere Einstellung zur Welt erhalten, die, so jedenfalls die Symbolik, nicht mehr durch den Kopf, den Verstand, die Ratio allein bestimmt werden kann. Es wird angedeutet, daß am Ende König und Königin wieder lebendig bzw. neu- oder wiedergeboren werden. Das Alte geht, stirbt ab und macht dem Neuen Platz. Die doch gewaltsame Trennung führt zu einer Änderung der Lebenseinstellung. Dies ist nicht immer angenehm, wohl aber notwendig.

Fünfter Tag 

Am fünften Tag entdeckt Christian Rosencreutz das Grab der Venus. Er öffnet eine eiserne Tür mit kupferfarbenen Buchstaben, kommt in ein Gewölbe ohne natürliches Licht. Das Grab ist dreieckig (!) und hat in der Mitte einen polierten kupfernen Kessel. Eine kupferne Tür am Boden führt zu Frau Venus, die nackt im Himmelbett liegt. Der sehr ehrwürdige alte Christian Rosencreutz lüftet den Schleier des Himmel-Bettes und betrachtet die Frau Venus - "bloß". Hinter dem Bett steht auf einer Tafel folgendes: "Wenn die Frucht meines Baums wird vollends verschmelzen, werde ich aufwachen und die Mutter eines Königs sein." Dieser neugierige Akt hat - wie wir noch hören werden - seine Folgen, denn dies ist der Auslöser dafür, daß Christian Rosencreutz die Stelle des Türhüters einnehmen muß. 

Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wenn Frau Venus die Mutter sein wird, wer ist dann der Vater? Wer ist überhaupt der Vater des Königs, zu dessen Hochzeit Christian Rosenkreutz eingeladen wurde? Am Ende stellt sich zur allgemeinen Verblüffung heraus, daß es Christian Rosencreutz selbst ist. 

Wieder zurück bei den anderen, werden sie und die Särge auf Schiffen übers Meer zu einer Insel zum Turm Olymp gebracht. Die Schiffe sind Planeten zugeordnet, während Christian Rosencreutz auf einem Schiff mitfährt, das den Globus auf seiner Fahne hat. Der Turm liegt auf einer viereckigen Insel, die 360 Schritte - 360 ist die Zahl des Kreises - Durchmesser hat. Es sind sieben runde Türme zusammengebaut worden, aber eben nicht drei Tempel, wie wir aus der Einladung wissen. 

Die viereckige Insel und das Meer sind alchemische Hinweise auf die Wandlung und die "Chymische Hochzeit" selbst. Doch der alchemische Prozeß der Wandlung vollzieht sich unbemerkt,unterschwellig, auf einer anderen Ebene.Das Meer und die viereckige Insel erfüllen dabei den Zweck, ein geeignetes Gefäß für die bevorstehende Verwandlung zu sein. 

Alle werden in den Turm geführt und um Mitternacht sieht Christian Rosencreutz zufällig die sieben Flammen (vorher waren es nur sechs!) auf die Spitze des Turms zufahren. Dies ist ein wichtiges Detail, das später noch eine bedeutende Rolle spielen wird. Die Flammen, also die Seelenpersönlichkeiten oder die Ba-Seele - ägyptisch gesprochen - schweben über dem "Wasser" zum Turm. 

Sechster Tag 

Der sechste Tag ist der alles entscheidende. Nicht zufällig deutet die Zahl sechs als Hexagramm, als Sechseck, auf die Vereinigung der Gegensätze hin. Doch bevor es so weit ist, müssen die Teilnehmer noch auf sehr sonderbare Art und Weise den Turm hinaufsteigen. Ihnen werden Leitern, Seile und Flügel gebracht und per Los zugeteilt. Christian Rosencreutz erhält übrigens eine Leiter. 

Im zweiten Stock bringen zwölf Personen einen ovalen Sarg mit den sechs Leichen. Eine merkwürdige Prozedur mit einem Brunnen und vier Röhren beginnt, wobei das Wasser die Leichname auflöst und verflüssigt. Das Wasser färbt sich rot und rinnt unter dem Brunnen in eine Kugel. Die Kugel wird daraufhin hinausgebracht. 

Im dritten Stock finden sie die Kugel mitten im Saal an einer Kette hängend. Die Sonnenstrahlen treffen die goldene Kugel und sie wird erhitzt. Dann muß sie abgekühlt werden und alle gehen frühstücken. Die Kugel wird dann mit einem Diamanten auseinandergeschnitten und zum Vorschein kommt ein weißes Ei. 

Im vierten Stock steht ein viereckiger kupferner Kessel mit gelbem Sand und dem Ei darin. Aus dem Ei schlüpft ein Vogel, der angebunden und dann mit dem Blut der Enthaupteten gefüttert wird. Der Vogel wächst sehr rasch heran. Er wird schwarz, dann wachsen ihm schneeweiße Federn und endlich erhält er ein buntgefärbtes Gefieder.

Im fünften Stock wird dem Vogel ein Bad bereitet mit weißem Pulver, das aussieht wie Milch. Er verliert die Federn, wird blau am Körper und am Kopf weiß. Auch hier eine Trennung von Kopf und Körper. 

Im sechsten Stock sehen wir einen Altar mit sechs Gegenständen und dem Vogel. Dieser trinkt aus dem Brunnen, pickt die weiße Schlange blutig, wobei das Blut aufgefangen und dem Vogel wieder zu trinken gegeben wird. Die Schlange wird wieder lebendig. 

Bei jedem dieser Prozesse schlägt die Uhr, zuerst die erste Stunde, also ein Uhr für die erste Konjunktion, dann zwei Uhr für die zweite Konjunktion und schließlich drei Uhr für die dritte Konjunktion. 

Dem Vogel wird der Hals abgeschlagen und das Blut aufgefangen. Er wird verbrannt und die Asche in ein Kästchen aus Zypressenholz gegeben. Durch einen etwas merkwürdigen Scherz werden Christian Rosencreutz und drei weitere seiner Mitstreiter aussortiert und allein in den siebenten Stock gebeten. Dort erwartet sie ein kleiner, runder Ofen, an dem sie arbeiten, wobei die anfallende Asche mit Wasser zu Teig vermengt und auf das Feuer gestellt wird.11 

Parallel dazu sind im sechsten Stock die anderen mit alchemisch anmutenden Prozeduren beschäftigt, die jedoch sinnlos sind, eben weil im siebenten Stockwerk das eigentliche "Opus Magnum", das Große Werk oder die wahre "Chymische Hochzeit" stattfindet. 

Aus den Formen erhalten die vier einen Jungen und ein Mädchen, ein Homunculus- Paar. Diese werden mit dem Blut des Vogels gefüttert und wachsen heran zu König und Königin, ihnen fehlt aber die Seele. Die Jungfrauen erscheinen mit grünen Posaunen, die den beiden an den Mund gesetzt werden. Durch ein Täuschungsmanöver bekommt nur Christian Rosencreutz mit, daß durch eben ein solches Rohr die Seele in die beiden als helle Flamme einfährt. 

Während die anderen vom sechsten Stock Gold machen mußten und dabei getäuscht wurden, waren diejenigen im siebenten Stock damit beschäftigt, König und Königin zum Leben zu erwecken, also die Wandlung, die Erneuerung die eigentliche "Chymische Hochzeit" zu vollziehen. 

Was ist aber geschehen? Zuerst werden die Würdigen von den Unwürdigen getrennt und dann finden die Hochzeitsvorbereitungen statt. Die Hochzeit jedoch vollzieht sich im Verborgenen. Ein neuer König und eine neue Königin werden zwar durch umständliche, alchemisch anmutende Prozeduren erschaffen, jedoch durch die Särge, durch die Schiff-Fahrt und die Geheimhaltung der Leichen, kann man davon ausgehen, daß die eigentliche Hochzeit im Geheimen stattfindet. Es hat also weder ein sexueller Akt stattgefunden, wie es viele alchemische Bilder nahe legen, noch entstand aus der Einigung von König und Königin etwas Drittes. Vielmehr sind aus sechs bzw. sieben Menschen zwei geworden, was bedeutet, daß diese beiden, König und Königin, die Fähigkeiten und Möglichkeiten der anderen integriert haben. Nicht umsonst wird die Posaune jeweils drei Mal angesetzt. Insgesamt entspricht dies den sechs getöteten Personen ohne den Mohren.

Aus den sechs Toten und dem Mohren werden nun König und Königin. Die Seelen entweichen und verweilen auf der Insel und sie fahren dann in die neuen Körper ein. Der Tod wird zu einer Wiedergeburt bzw. Erneuerung, denn das Irdische muß weichen, damit das Geistige hervor kann. Das ist das eigentliche Ziel der "Chymischen Hochzeit". 

Dazu kommt, daß der Mensch nun ein bewußter Nachschöpfer der Natur und dann letztlich auch Gottes wird. Das eigentliche Geheimnis, das Geheimnis der Erschaffung des Menschen, erfolgt jedoch in Übereinstimmung mit der Genesis: Und Gott erschuf den Menschen aus dem Staub der Erde, hauchte ihm den Odem des Lebens ein und der Mensch wurde eine lebende Seele! Ähnlich geschieht es auch hier. Dazu kommt, daßin der Genesis am sechsten Tag der Mensch geschaffen wurde: Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf ihn als Mann und Frau. Die Parallele zur Genesis ist offensichtlich und es ist auch kein Zufall, daß gerade am sechsten Tag ein neues Königspaar erschaffen wurde.Damit haben wir das Grundanliegen der Alchemiker, die sich in der Kunst der Verwandlung und Schöpfung sehen und zum anderen in der Nachfolge Gottes!

Alchymischer Exkurs 

Interessanterweise gab es bereits kurz nach Erscheinen der 'Chymischen Hochzeit' ein Antwortschreiben eines Radtichs Brotofferr, der eine alchymische Synopsis der 'Chymischen Hochzeit' angibt. Ihre Stationen entsprechen den sieben Tagen der 'Chymischen Hochzeit' (Übersicht über die 'Chymische Hochzeit'). 

Im Grunde ist die 'Chymische Hochzeit' eben keine historische, sondern eine allegorisch-symbolische Erzählung. Aufgrund der 'Chymischen Hochzeit' auf einen Gründer Christian Rosencreutz zu schließen, muß deshalb sehr angezweifelt werden. Infolgedessen sollte die 'Chymische Hochzeit' als literarisches Werk Andreaes angesehen werden und ist deshalb deutlich von den anderen Rosenkreuzerschriften 'Fama Fraternitatis' (1614) und 'Confessio Fraternitatis' (1615) zu trennen. Schenkt man etwa der 'Fama Fraternitatis' Glauben, so müssen die "Rosenkreuzer" einiges an Aufsehen erregt haben. In der 'Chymischen Hochzeit' ist nichts davon zu spüren. 

Die in der 'Chymischen Hochzeit' enthaltene Alchemiekritik betrifft selbstverständlich nur die Zeit um 1600. Im Jahr 1459 war eine solche Kritik noch nicht denkbar. Gutenberg hat erst um 1450 die Buchdruckerkunst erfunden und die Hochzeit der Alchemie und vor allem der betrügerischen Alchemie war nicht das Fünfzehnte, sondern das Sechzehnte und Siebzehnte Jahrhundert. 

Paracelsus soll ebenfalls in der 'Chymischen Hochzeit' erwähnt sein, und zwar sei sein Name verschlüsselt. Eben weil Paracelsus 1493 geboren wurde, hat er eigentlich in einer "Chymischen Hochzeit" von 1459 nichts zu suchen. Wie wir wissen, ist die Monashieroglyphe des John Dee auf einem Einladungsbrief in der "Chymischen Hochzeit" aus dem Jahre 1459 zu finden. Jedoch wurde die Monashieroglyphe erst 1564 veröffentlicht. 

>Übersicht über die 'Chymische Hochzeit<

Tag Tages-Planet Stationen des Prozesses Tierkreiszeichen Rosenkreuzerweg
1. Gründonnerstag:
- Einladung
- Gefangene im Turm
Jupiter Destillatio
(Reinigung)
Widder
Mars
Impuls zur Veränderung,
Erneuerung, Ruf und
Berufung, Bereitsein
2. Karfreitag:
- Weg zum Schloß
- vier Wege
- Schloß, Wächter
Venus Solutio
(Auflösung)
Stier
Venus
Aufbruch und
Entscheidung, Eintritt,
3. Karsamstag:
- Prüfung mit der Waage
- Goldenes Vlies
Saturn Putrefactio
(Faulung, Verwesung),
eng mit Mortificatio
verbunden
Zwilling
Merkur
Vorbereitung u. Prüfung,
erste Auszeichnung
4. Ostersonntag:
- Theateraufführung
- Enthauptung
Sonne Nigredo
(Schwärzung)
Urmaterie
Krebs
Mond
das Alte geht, stirbt
macht Platz, Trennung,
Änderung der Lebenseinstellung
5. Ostermontag:
- Grab der Venus
- auf der Insel im Turm
Mond Albedo
(Weißung = Silber)
Löwe
Sonne
Vorbereitung auf Neues,
neue Einstellung, andere
Bewußtseinseinstellung
6. Dienstag:
- alchemische Zeremonie
- Chymische Hochzeit
Mars Rubedo (Rötung)
Fermentatio, Multi-
plicatio (Gärung,
Steigerung der Aktivität
des Stoffes)
Jungfrau
Merkur
geistige
Wiedergeburt
7. Mittwoch:
- Ehrungen, Erneuerung
Venus Projectio
Medicina
Waage
Merkur
Erneuerung

Die sieben Stufen des alchemischen Prozesses und die sieben Planeten korrespondieren also mit den sieben Tagen der Hochzeit. Wenn man noch die sieben Tage der Schöpfung hinzunimmt und außerdem die sieben astrologischen Zeichen, und dann noch weiß, daß das Grabmal des Christian Rosenkreutz in der 'Fama Fraternitatis' siebeneckig ist, so sieht man, daß die Zahl Sieben eine in sich abgeschlossene Sinneinheit darstellt und auch im Sinne der Selbstwerdung C. G. Jungs oder der Ganzheit zu verstehen ist. 

Selbst mit geheimen Gesellschaften ist es nicht weit her. Die Aufnahme Christian Rosencreutz™ in den "Orden vom Goldenen Stein" am Ende der 'Chymische Hochzeit' steht eindeutig für die Bedeutung der Kunst, der Kunst als Gehilfin der Natur und zum Wohle der Menschen. Damit ist kein "esoterischer" Orden oder eine "esoterisch" ausgerichtete Fraternität gemeint, sondern eine auf die Kunst zu gründende Vereinigung. 

Die 'Fama Fraternitatis' ruft zu einer Generalreformation auf, ganz anders da die 'Chymische Hochzeit'. In ihr wird ein Wissen im Heimatland des Christian Rosencreutz vorgefunden, das in der 'Fama Fraternitatis' vergeblich gesucht wurde, warum sonst hätte C.R. diese Reise unternehmen sollen, wenn es im alten Europa solche Geheimnisse gegeben hätte? 

Die 'Chymische Hochzeit' sagt uns auch nichts über die Gründung einer Bruderschaft oder Fraternität durch eben Christian Rosencreutz. Ganz im Gegenteil: Dieser wird sogar in zwei "Orden" aufgenommen, in den "Orden vom Goldenen Vlies" und er wird "Ritter des Goldenen Steins". Dies alles macht es unmöglich, den Lebenslauf eines "Ritters Christian Rosenkreuz;" der im Mittelalter gelebt und gewirkt haben soll, zu rekonstruieren. 

Warum spielt die 'Chymische Hochzeit' im Jahr 1459? Ein Datum, das uns einige Rätsel aufgibt. Interessanterweise verknüpft sich ein erstaunliches Ereignis mit dem Jahr 1459, ein Ereignis von umfassender Tragweite. 1459 wurde von Cosimo de Medici die Platonische Akademie von Florenz gegründet, deren bekanntesten Vertreter Giovanni Pico della Mirandola und Marsilio Ficino waren. Hier wurde Platon als Philosoph wiederentdeckt und hier nahm die Renaissance der Hermetik ihren Ausgang. Ein Ereignis, daß für jeden Esoteriker bahnbrechend war und bleiben wird.14 

Alles in allem handelt es sich weder um einen Lebenslauf noch um eine Lebensgeschichte, sondern um eine allegorisch-symbolische Schlüsselerzählung, die mehr verbirgt als sie enthüllt. Der tiefere Sinn der 'Chymischen Hochzeit' erschließt sich also in der Abgrenzung von der 'Fama Fraternitatis' und der 'Confessio Fraternitatis' und in Abgrenzung von einem ursprünglicheren Rosenkreuzertum, zu dem Johann Valentin Andreae dann offensichtlich schon nicht mehr gehörte - einerseits. Andererseits bewahrt gerade die 'Chymische Hochzeit' vieles an rosenkreuzerischen Gedanken und Wegen auf. Die 'Chymische Hochzeit' ist eine Art rosenkreuzerischer Gedächtnisspeicher, ob dies nun Johann Valentin Andreae im Sinn hatte oder nicht. Kehren wir zur Handlung zurück. Es gibt Abendessen und ein Zusammentreffen mit den getäuschten Kameraden. 

Siebenter Tag 

Am siebenten Tag werden alle in gelben Kutten mit dem Goldenen Vlies zu "Rittern zum Goldenen Stein" geschlagen. Jeder erhält ein Stück Gold mit der Inschrift: "Die Kunst ist die Dienerin der Natur. Die Natur ist die Tochter der Zeit." Gelb ist hier die Farbe der Sonne und des Goldes, womit ausgedrückt wird, daß alle Anwesenden das Ziel der "Chymischen Hochzeit" erreicht haben. 

Sie fahren aufs Meer mit zwölf Schiffen, die den zwölf Tierkreiszeichen entsprechen. Christian Rosencreutz fährt unter der Flagge "Waage". Dann treffen sie auf 500 Schiffe mit König und Königin. Ihnen wird an Land ein triumphaler Empfang bereitet und Christian Rosencreutz reitet an der Seite des Königs. 

Er trägt eine schneeweiße Fahne mit einem roten Kreuz, ohne Rosen offensichtlich. Christian Rosencreutz heftet sein Zeichen an den Hut und der König fragt ihn, ob er die Prüfungen am Tor gelöst habe. Der König erkennt in ihm plötzlich seinen Vater, was für uns etwas überraschend kommt. Wahrscheinlich ist dann doch Venus die Mutter gewesen ... 

Sie werden jedenfalls ob ihrer Verdienste zu "Rittern des Goldenen Steins" installiert. Und sie verpflichten sich auf folgendes: 

I. Ihr Herren Ritter sollt schwören, daß ihr euren Orden keinem Teufel oder Geist, sondern euch allein Gott, eurem Schöpfer und dessen Dienerin der Natur verschreibt.

II. Daß ihr alle Hurerei, Unzucht, Unreinigkeit verabscheut und mit solchen Lastern euren Orden nicht beschmutzt. 

III. Daß ihr mit euren Gaben jedem, der es wert und bedürftig ist, helft.

IV. Daß ihr diese Ehre nicht zu weltlicher Pracht und höherem Ansehen anwendet. 

V. Daß ihr nicht länger leben werdet als es Gott haben will. 

Ein sehr interessanter fünfter Punkt, gerade in der heutigen Zeit. Aber, Johann Valentin Andreae meint dies ironisch, denn, wie es im Text weiter heißt, "über diesen letzten Artikel mußten wir lachen. Er mag auch nur zum Scherz hinzugesetzt worden sein." Dies ist eine deutliche Anspielung - und gleichzeitig eine Absage - an die 'Confessio Fraternitatis' in der es heißt: Wäre es nicht ein köstliches Ding, daß du alle Stunde so leben könntest, als wenn du von Anfang der Welt gelebt hättest, und noch ferner bis ans Ende derselben leben solltest? 

Nun, darüber macht sich Johann Valentin Andreae, respektive Christian Rosencreutz lustig. Dennoch: Der gute Christian Rosencreutz unterschreibt dann mit:

Summa scientia nihil scire.
Fr. CHRISTIANUS ROSENCREÜTZ, 
Eques aurei Lapidis: Anno 1459.

Da erscheint der Türhüter im blauen Gewand und meldet, daß er nun entlassen werden könne, weil ein anderer die Venus nackt gesehen habe. Christian Rosencreutz bekennt sich dazu und er muß die Stelle des Türhüters antreten, worüber alle sehr betrübt sind. Aber hier bricht die Handlung mit den Worten ab:

Hier fehlen ungefähr zwei Blätter, und der Autor ist, obwohl er meinte, am anderen Morgen Türhüter zu sein, heimgekommen. ENDE. 

Also ist er doch nicht Türhüter geworden. Was bedeutet es aber, ein Türhüter zu sein? Der Türhüter ist derjenige, der darüber wacht, was irgendwo hinein und was herausgeht. Und Johann Valentin Andreae sagt in seiner Schrift 'Christianopolis' sogar: 

Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend. / Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Haus, als wohnen in der Gottlosen Hütten.17 

Der Türhüter ist ein Glied in der Goldenen Kette. Er ist der Wächter, der als Hüter der Schwelle fungiert. Er ist das äußerste sichtbare und wahrnehmbare Zeichen eines inneren Prozesses, einer wahren "Chymischen Hochzeit". Daß Christian Rosencreutz zum Türhüter wurde, ist die eigentliche und tiefgründige Aussage. 

Die "Chymische Hochzeit" ist in ihrer gegensatzvereinigenden Symbolsprache nie abgeschlossen. Ihre Stationen liegen zwar zeitlich nacheinander und räumlich nebeneinander, im Grunde jedoch haben wir es hier mit symbolischen Handlungen zu tun, die weder Zeit noch Raum kennen. Man kann die 'Chymische Hochzeit' als alchemischen Prozeß deuten, in dem die Dreiebenso vorkommt wie die Sieben - die sieben klassischen Stufen, die sich in den sieben Planeten und deren Metallen oder sieben Prozessen ausdrückt. Und man kann sie im Sinne C. G. Jungs als Ganzheitserlebnis oder Manifestation des Selbst im Sinne der Individuation erleben. Und dennoch: Alles ist gleichzeitig und so auch die Einheit. In diesem Sinne erschafft sich die Welt in jedem Augenblick und so auch die "Chymische Hochzeit".

Wolfram Frietsch

Literaturauswahl 

Andreae, Johann Valentin: Fama Fraternitatis. Confessio Fraternitatis. Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz. Anno 1459. Eingeleitet und herausgegeben von Richard van Dülmen. Stuttgart 19762.

- Die Chymische Hochzeit Christiani Rosenkreutz Anno 1459. Obernhain, 1974. 

Edighoffer, Roland: Les Rose-Croix et la Crise de la Conscience européene au XVII. siècle. Paris 1998. 

- Die Rosenkreuzer. München 1995. 

- Rose-Croix et société idéale selon J. V. Andreae. Paris 1982. 

Das Erbe des Christian Rosenkreuz. Johann Valentin Andreae 1586-1986 und die Manifeste der Rosenkreuzerbruderschaft 1614-1616. Amsterdam 1988. 

Maack, Ferdinand: Die goldene Kette Homers. Ein zum Studium und Verständnis der gesamten hermetischen Literatur unentbehrliches Hilfsbuch. Lorch 1905.

Dülmen, Richard van: Die Utopie einer christlichen Gesellschaft. Stuttgart-Bad Cannstatt 1978. 

Fama Fraternitatis, oder Entdeckung der Brüderschafft des löblichen Ordens des Rosencreutzes, beneben der CONFESSION oder Bekanntnuß derselben Fraternitet, an alle Gelehrte und Häupter Europa geschrieben; Erstlich gedruckt zu Cassel, im Jahr 1616. 

Fama Fraternitatis. Das Urmanifest der Rosenkreuzer Bruderschaft. Zum ersten Mal nach den Manuskripten bearbeitet, die vor dem Erstdruck 1614 entstanden sind, durch Pleun van der Kooij. Mit einer Einführung über die Entstehung und Überlieferung der Manifeste der Rosenkreuzer von Carlos Gilly. Haarlem 1998. 

Frey-Jaun, Regine: Die Berufung des Türhüters. Bern 1989. 

Frietsch, Wolfram: Die Geheimnisse der Rosenkreuzer. Ein westlicher Einweihungsweg. Wiesbaden 20052

- Muß die Rosenkreuzergeschichte neu geschrieben werden? Versuche zu Johann Valentin Andreae, Christian Rosencreutz und die Chymische Hochzeit. In: Gnostika 18, Juli 2001. Seiten 49-65. 

- Newtons Geheimnis: Wissenschaft und Esoterik - Zwei Seiten einer Medaille. Mit einem Vorwort von Rüdiger Dahlke. Gaggenau 2006. 

Gilly, Carlos (Redaktion): Cimelia Rhodostaurotica. Die Rosenkreuzer im Spiegel der zwischen 1610 und 1660 entstandenen Handschriften und Drucke. Amsterdam 1995. 

Hoßbach, Wilhelm: Johann Valentin Andreae und sein Zeitalter. Berlin 1819. 

Jung, Carl Gustav: Gesammelte Werke. Düsseldorf 1995. 

Wehr, Gerhard: Die Bruderschaft der Rosenkreuzer. Köln 1984. 

1) Man nimmt an, daß es sich hierbei um die gleiche Person oder Idee handelt wie in den ersten beiden Rosenkreuzerschriften ('Fama Fraternitatis' und 'Confessio Fraternitatis') auch, nämlich um eben jenen imaginären Christian Rosencreutz. Leider wird hierbei übersehen, daß der Name Christian Rosencreutz in der 'Fama Fraternitatis' so nicht vorkommt und man sich in erhebliche Widersprüche verwickelt, wenn man alle drei Schriften als Zeugnis des "Christian Rosencreutz" sehen möchte. Vgl. dazu: Frietsch, Wolfram: Muß die Rosenkreuzergeschichte neu geschrieben werden? Versuche zu Johann Valentin Andreae, Christian Rosencreutz und die Chymische Hochzeit. In: Gnostika 18, Juli 2001, Seiten 49-65. 

2) Vgl. dazu auch: Frietsch,Wolfram: Newtons Geheimnis.Wissenschaft und Esoterik - Zwei Seiten einer Medaille. Mit einem Vorwort von Ruediger Dahlke. Gaggenau 2006. 

3) J. V. Andreae hatte Kenntnisse in der Kabbala bzw. christlichen Kabbala. Seine Anregungen dienten der Lehrtafel der Prinzessin Antonia in Bad Teinach, die deutlich der christlichen Kabbala verpflichtet ist.

4) Möglicherweise weist dieser Traum auf den sechsten Tag der "Chymischen Hochzeit" hin, der den Aufstieg durch die verschiedenen Stockwerke beschreibt. 

5) Dazu noch die drei Prinzipien: Mercurius = Wasser, Sal = Salz und Sulphur = Brot, worauf wir hier nicht näher eingehen können.

6) Damit tritt aber Christian Rosencreutz und die 'Chymische Hochzeit' in deutlichen Widerspruch zu den anderen Rosenkreuzerschriften. Vgl. Fußnote 1.

7) Möglicherweise haben wir hier wieder die Taube, die Albedo.

8) Mit folgender Aufschlüsselung: 

  • 3 = C ist dem 5. Buchstaben = I = 9 der dritte Teil; 
  • 3. Buchstabe = 3 zum 6. Buchstaben = 13, macht zusammen 16, Wurzel davon = 4; 
  • 5. Buchstabe = 9 und 7. Buchstabe = 9; 
  • 1. Buchstabe = letzter Buchstabe; 
  • 1. Buchstabe und 2. Buchstabe = 13 = 6. Buchstabe; 
  • 6. Buchstabe = 16 um 4 Mehr als der 3. Buchstabe = 3 3 mehr hat, also 
  • 6. Buchstabe = 13 - 4 = 9 = 3 x 3 = 3. Buchstabe. 

Das zweite A wird nach einer kabbalistischen Tradition nicht mitgezählt. 

9) Es wird sich hier um die berühmte 'Tabula Smaragdina' handeln. 

10) Die Alchemie verwendet für diesen Vorgang die Begriffe Mortificatio (Tötung), Separatio (Trennung) und Coniunctio (Vereinigung). 

11) Hierin ist unschwer die alchemische Symbolik des Athanor erkennbar, des Ofens also, in dem (oder auf dem) der "Stein der Weisen" bereitet wird. 

12) Die beiden Parteien im sechsten und siebenten Stock zeigen einen deutlichen Unterschied zwischen himmlischem und natürlichem Licht. Die Alchemisten im sechsten Stock arbeiten im natürlichen Licht, Christian Rosencreutz im himmlischen oder göttlichen Licht. Und es sind die Alchemisten, die im siebenten Stock arbeiten, die die wahre Verwandlung, die geistige oder mentale Alchemie hervorbringen. 

13) Radtichs Brotofferr (Christoph Barbarossa), Elucidarius major, Lüneburg 1617.

14) 1459 könnte aber noch einen anderen Sinn haben. Durch das Rätsel der ALCHIMIA wissen wir um die Kunst der Gematria, die jedem Buchstaben eine Zahl zuweist und umgekehrt. Für 1459 könnte sich folgendes ergeben: 1 = A, 4 = D, 5 = E und 9 = I, also: A D E I. Ob und in wieweit dies Sinn macht, ob sich damit eine Kombination im Sinne der in der Chymischen Hochzeit vorhandene Tafeln ergibt, muß offengelassen werden. Es könnte aber heißen: A(d) De(um) I, also "Gehe hin zu Gott", "Begib dich in Gottes Hand". Grundlage solcher Spekulationen ist die 'Chymische Hochzeit' selbst mit ihren Abkürzungen, Kurzschriften, Tafeln und Beschriftungen. Dies wiederum läßt uns vermuten, daß die Zahl eine symbolische und keinen historischen Sinn hat. 

15) Höchstes Wissen ist nichts zu wissen.

16) Ritter vom goldenen Stein. Im Jahre 1459. 

17) Andreae, Johann Valentin: Christianopolis, 1619. Eingeleitet und hrsg. von Richard van Dülmen. Stuttgart 1972. 

18) Nigredo, Albedo und Rubedo. 

19) Sonne = Gold, Mond = Silber, Merkur = Quecksilber, Mars = Eisen, Venus = Kupfer, Jupiter = Zinn und Saturn = Blei. 

20 Calcinatio (eine Art der Pulverisierung), Solutio (Lösung), Coagulatio (Verbinden), Sublimatio (Erhöhen), Mortificatio (Tötung), Separatio (Trennung) und Coniunctio (Vereinigung). 

21 Die klassischen Stufen: Persona - Schatten - Anima - Selbst sind hier kongenial zu finden. 

22 Vgl. dazu auch: Frietsch,Wolfram: Newtons Geheimnis: Wissenschaft und Esoterik - Zwei Seiten einer Medaille. Mit einem Vorwort von Ruediger Dahlke. Gaggenau 2006.

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