Gedanken zum Circulatum Minus
Beitrag von Karl Hollerbach
aus Hermes Nr. 15
Das bedeutet natürlich nicht, daß man auf einem Bild diese Säule in verschiedenen Perspektiven zeichnen muß. Es sagt etwas anderes. Es sagt soviel wie: Wenn ich eine Säule male, dann muß ich die Idee, die Platonische Idee der Säule durchscheinen lassen. Ich muß etwas von der Gestalt im Raum, von der Funktion für das Gebäude spürbar machen. Erst dann wird das Bild perfekt sein.
Wieviel mehr gilt das nun für einen Berg, einen Baum! Hierbei kommt zu der räumlichen Gestalt und der Funktion noch deutlicher der Aspekt der zeitlichen Gestalt und des Erlebens (der Duft der Apfelblüten, das Rauschen der Blätter und Summen der Bienen, das Schwingen auf dem Ast beim Apfelpflücken, der sauer-zusammenziehende Geschmack des Boskoop in der Baumkrone hinzu.
Zu der räumlichen Gestalt kommen also noch die zeitliche Gestalt und die sensorische und emotionale Gestalt hinzu. Ohne diese, von uns aus der Erinnerung gebildeten, geklangten, gedufteten, geschmackten Aspekte wäre dieses Bild des Berges nur ein flaches, nicht erkennbares Ding. Erst durch das Erwecken der Bilder und Erinnerungen in unserer Erinnerung und durch die Verbindung mit dem platonischen Idee al Bild wird der Apfelbaum plastisch werden können.
Jede einseitige Betrachtung, die "schulmäßig naturwissenschaftliche" genauso wie die "radikal-esoterische" wird dem zu betrachtenden Thema oder Objekt niemals voll gerecht werden können. Das Subjekt des Betrachters hat, allein schon durch die Wahl der Pespektive, das Bild, das Ergebnis der Betrachtung vorbestimmt.
Warum dieses lange Vorspiel zum Circulatum Minus? Ich möchte zunächst all die unter den Lesern ermutigen, die keinen "inneren Märchenpark" animieren können, trotzdem zum Wunder, zum Wundern, Verwundern vorzustoßen, im Alltäglichen das Wunderbare wieder (?) zu entdecken, das uns so oft durch die Erklärungen der aktuell gültigen technikorientierten Physik wegrationalisiert worden ist. Die Denkweise der "Künstler", der "Philosophen" des 15.-17. Jahrhunderts, ansatzweise natürlich auch noch in späteren Jahrzehnten und Jahrhunderten, ist dem archaischen Weltbild erheblich näher als dem unsrigen. Wenn wir Vorschriften, Bilderserien, alchemistische Geschichten oder Kosmologien verstehen wollen, müssen wir uns auf diese Sichtweise einstellen, sonst kommen wir leicht zu völlig irreführenden Deutungen.
Im Prinzip knüpfe ich hiermit wieder an den Artikel über die Erfahrungen des All Ein Seins im letzten 'Hermes' an und möchte versuchen, diese für mich zentrale Frage diesmal mit einem konkreten laborantischen Thema zu verbinden.
Dieser Text, an dem ich schon seit einigen Wochen immer wieder gearbeitet hatte, bekam gerade eine ungeahnte Aktualität: Mitte April erschien die neueste Ausgabe der 'Esotera', darin ein umfangreicher Artikel über zwei Seminare mit Manfred Junius. Dabei wurde neben einem Bericht über den "leo viridis Junii" auch detailliert und mit Bildmaterial über sein Circulatum Minus berichtet. Außerdem fanden in diesem Monat an verschiedenen Stellen Laborseminare mit ihm statt, die zum Teil ebenfalls die Bereitung des Circulatum zum Thema hatten. Manfred Junius berichtet mir, das es einer ganzen Reihe von Teilnehmern gelungen sei, ganz hervorragende Circulata nach seiner Methode herzustellen.
Das Circulatum Minus des Baron Urbigerus
Der Text, von einem nicht weiter bekannten Alchemisten (auch als Baron Borghese oder C. von Siebenb erwähnt), zuerst 1690 in London, dann 1705 in Hamburg veröffentlicht, wurde vor allem durch eine Auseinandersetzung zwischen Frater Albertus und Manfred Junius, bzw. dessen Lehrer Augusto Pancaldi bekannt. Von beiden existieren kommentierende Ausgaben hierzu, die sich in ihrer Aussage diametral voneinander entfernen und zu völlig verschiedenen Ergebnissen führen. Eine weitere Variante dazu finden wir in einem Text der 'Collectanea Chemica', einem in London 1893 herausgekommenen Sammelband über 'The Stone of the Philosophers' von einem nicht benannten Autor.
Die 31 Aphorismen sind eigentlich eher als Anhang zu den '101. Gewisse Regeln oder kurtze Aphorismi durch 3. Wege das grosse Elixir der Philosophorum zu bereiten etc.'zu verstehen.
Obwohl der Originaltext in den letzten Jahren also mehrfach abgedruckt wurde, möchte ich ihn auch hier bringen, um all denen den Zugang und Vergleich zu ermöglichen, denen diese Quellen nicht vorliegen. Er ist nach der Ausgabe von 1705 transkribiert, einige Fehler in der Ausgabe bei Manfred Junius wurden beseitigt. Den Text zum Titelkupfer der Chymischen Schriften, der weitere Informationen zu der Arbeit bietet, drucken wir hinten im Heft.
CIRCULATUM MINUS
URBIGERANUM,
Oder
Das Philosophische Eixir /
Aus
Dem Vegetabilischen Reiche.
Auf drey unterschiedliche Wege eingerichtet
Aphorismus
I.
Unser Circulatum Minus ist nur ein Elixier / welches specificiret worden zum Vegetabilischen Reiche / und kan dadurch desselbigen rechte Essentz, worinnen alle Vegetabilische Krafft und Eigenschafft / gleichsam in einen Augenblick ohne Feuer oder weitere Bereitung der Vegetabilien ausgezogen und erhalten werden / zu Verrichtung grosser Wunder in der Artzney=Kunst, und andern Wercken der Natur.
II.
Wir heissen es Circulatim minus, weil es in dem vegetabilischen Reiche eben das verrichtet / was das Circulatum Majus, oder Elixir Universale, in allen dreyen Reichen auswircket / und wie offt es auch zu vielerhand Extractionen oder Chymischen Experimentis gebraucht seyn möge / dennoch nicht das geringste von seinen Kräfften oder Eigenschaften verlieret.
III.
Aus der Dianae undeterminirten Thränen / nach dem Apollo erschienen ist / und nachdem die drey Elementa saeparirt, determinirt, digerirt, und wiederum zur gloriösen Aufferstehung gebracht sind / können wir ohn einiges geschaffenen Dinges Addition dieses unser determinirt Elixir praepariren. Welcher Weg von den Philosophis vor den ersten / edelsten und geheimsten zum Eingange in dieser Natur Weißheit gehalten wird.
IV.
Die Determination derer Thränen von unserer Diana bestehet alleine in ihrer vollkommenen und unaufflößlichen Vereinigung mit der fixen vegetabilischen Erde, die Philosophisch praeparirt, purificirt, und geistlich gemacht seyn muß / in Ansehung welcher / obgedachte Thränen lieblich genöthiget werden / ihre erste undeterminirte Eigenschaft abzulegen, und sich specificiren zu lassen / auff solche Art / wie unser Circulatum Minus erfordert.
V.
Unser anderer Weg dieses vegetabilische Elixir zu praepariren ist / wann man ein gewisses Vegetabile, so mit unter die vornehmsten gerechnet wird / und welches so wohl alleine wachsend / als unterstützet, zusehen ist / durch gebührliche Handgriffe so tractiret / daß nach geschehener ersten Praeparation, dieselbe putrificire, zu Oehl werde ihre 3 Principia scheiden lasse / und endlich vermittelst der Reinigung / Conjunction und Flüchtigmachung zu einem geistlichen und unsterblichen Wasser werde / wodurch alle Vegetabilia, so hinein geworffen sind / ihre Erneuerung erlangen müssen.
VI.
Der dritte und gemeinste Weg besteht in der Vereinigung eines fixen vegetabilischen Saltzes mit seinen eigenen flüchtigen und Sulphurischen Spiritu, welche beyde von gemeinen Chymicis gemacht und verkaufft worden. Und weil in ihrer Praeparation ein Theil des reinesten Schweffels / worinnen die Seele wohnet / durch unphilosophische Handgriffe verlohren worden / so kan gemeldte unaufflößliche Vereinigung nicht geschehen / als durch ein Schweffelhafftes Mittel / daß die geschwächte Seele verstärcket / und darneben Geist und Leib zur vollkommenen Conjunction tüchtig macht.
VII.
Solches eigendliche Mittel / zur unaufflößlichen Vereinigung mehr gedachter zweyen Subjecten nöthig / ist eine Schwefel= und hartzigte Materie, entsprossen aus einer todten oder lebendigen Pflantze / welche an unterschiedlichen Orten der Welt gefunden / und von allen Arten derer Meerfischen erkandt wird; (die Copavianische halten wir vor die beste / und nechst selbiger die Italiänische) wann man solche mit dem Universal Menstruo von ihren unreinen Theilen separirt / so dehnet es alle atomos und Poros des fixen vegetabilischen Saltzes gantz auseinander / daß es seinen eigenen Spiritum empfangen / und sich mit ihm vereinigen können.
VIII.
Zu Verstärckung des Schweffels / und Oeffnung, oder Ausdehnung / derer Saltz-Theilen / muß man selbige in einer mittelmäßigen Digestions=Wärme / die ohngefehr mit der Küchen-Bruth übereinkömt / mit der hartzigten Materie imbibiren, und so offt das Saltz trocken wird / die Imbibition repetiren / biß endlich das Saltz nicht von der Materie weiter annehmen will.
IX.
Während der Imbibition muß man täglich 9. oder 10. mahl mit einem Spatel / oder trucknen Holtz / die ganze Massam wohl umbrühren / wodurch die hartzigte Materie einen bessern Ingress in das Saltz emfangt, und ihre Operation geschwinder verrichtet.
X.
Man muß sich wohl fürsehen / damit bey der Imbibition nicht der gerinste Staub / oder andere Unreinigkeit / in die Massam falle / auch nichts / welches einen Schwefel bey sich hat / in der Nähe gelassen werde. Denn in dem die Saltz-Theilgen so sehr geöffnet und ausgedehnet worden / kan ein frembder Schwefel solche leicht zu etwas anders determiniren / und so die gantze Arbeit verderben / weßhalben das Geschirr stets mit einem Papier voll kleiner Löcher / oder etwas anders Geschickliches / bedecket seyn soll.
XI.
Wann in 3. oder höchstens 4 Wochen das fixe vegetabilische Saltz nicht seine völlige Saturation erweiset / so ist die Arbeit vergeblich; Und hat man entweder in der Erkändniß des Saltzes / oder der Sulphurischen und hartzigten Materie, oder in dem imbibiren / geirret.
XII.
Nach geendigter Imbibition ist das Saltz geschickt seinen eigenen Geist zu empfangen / und wird hernach dadurch geistlich / flüchtig / durchsichtig / und so Wunder=kräftig / daß es in eines jeden Vegetabilis kleinste Theile und Poros nicht allein eingehet / sondern auch alsbald dessen Elementa, oder innerliche wahre Essentz davon abscheidet.
XIII.
Ob nun schon das Saltz völlig zur Reinigung mit seinem eigenem Spiritu praeparirt ist / so kan solche doch nicht geschehen / wann man beyder rechte Proportion (nehmlich / daß das Volatile allezeit über das Fixum praedominire) nicht in acht nimbt / dann wiewohl beyde Subjecta einander im Wesen nicht entgegen sind / so werden sie doch durch ungleiche Eigenschafften unterschieden.
XIV.
Vor dem Anfange der Destillation und cohobationen / wann der vegetabilische Spiritus zu seinem Saltze gefüget worden / muß man die Massam 8. oder 10 Tage putrificiren lassen / in welcher Zeit der Sulphurische Spiritus durch die hartzigte Materie gestärcket / umb in desselben Innerstes hineinzugehen / und nebst der Volatilisation die gründliche Vereinigung zu bewerckstelligen.
XV.
Wann nach 6. oder 7 Destillationen und cohobationen des herüber getröpfften auff das zurück gebliebene der Spiritus nicht sehr scharff, das Caput Mortuum hergegen gantz ungeschmackt ist / so hat man in Erkändtniß des vegetabilischen Spiritus (welcher seinen eigenen Leib allezeit mit Cohobationen flüchtig macht / und sich darmit vereiniget/), geirret.
XVI.
Das Schweffelichte Mittel zur Vereinigung muß im Fortgange der Destillation nicht auffsteigen / weil es Leib und Seel / ehe der Leib durch den Geist flüchtig gemacht worden / vereinigen soll / und gleich wie zuvor das schweffelichte Mittel zur Vereinigung des Leibes und der Seelen höchstnöthig gewesen / so würde es im Gegentheil mit seinem Ubersteigen nun alles verderben.
XVII.
Wann das schweffelichte Mittel übersteigt / so bald der Spiritus seinen Leib anfängt überzuführen / umb sich damit unaufflößlich zu vereinigen / so wird das Feuer nicht wohl regiert / und an statt der gelinden dämpffigen Wärme zu Beforderung der Conjunction, eine gewaltsame Hitze zur Destruction gegeben.
XVIII.
Wann das Saltz völlig geistlich gemacht / und mit seinen eigenen Spiritu gründlich vereiniget ist, so hat man das Circulatum Minus oder vegetabilische Elixir / und Menstruum in seiner Macht / wodurch wunderbare Würckungen im Vegetabilischen Reiche geschehen können / in deme augenblicklich nicht allein eines Vegetabilis Elementa oder wahre Principia, sondern auch zugleich dessen reines Wesen vom unreinen / damit separiret werden.
XIX.
Wann man in dieses Vegetabilische Elixir wirfft ein grün und geschnitten Vegetabile, so putrificirt sichs in weniger / als einer halben Viertel Stunde Zeit (ohne äußerliche Hitze) ein Theil fällt gantz erstorben zu Grunde / (welcher nur die unreine Erde ist/) obenauff schwimmet ein gelbes Oel / darinnen sich das Saltz mit dem Schweffel auffhält / und das Elixir kriegt die Farbe des gebrauchten Vegetabilis in dem es dessen Spiritum eingeschluckt hat; Solten aber diese Zeichen nicht erscheinen / so wäre unrecht gearbeitet.
XX.
Ein einziger Tropffen des gelben Oels alle Morgen und Abend mit einem Glaß Wein / oder andern guten Vehiculo eingegeben in Kranckheiten / wofür das gebrauchte Vegetabile sonst gewöhnlich adhibirt wird / curirt solche Kranckheiten / oder Beschwerungen / unfehlbar und ungefühlich, stärcket auch die Lebens=Geister gewaltig / und reiniget bey ansteckenden Seuchen das Blut fürtrefflich / wann man mit dem Gebrauche continuiret.
XXI.
Ein in dieses Menstruum geworffene Corall giebt ein trefliches Experiment: Dann ob wohl des Coralli Pori fester / als in keinem anderen Vegetabili, geschlossen sind / so resolvirt sichs doch auch alsbald darinnen / sein innerlicher Geist geht ins Menstruum, sein Leib und Seele oben auff wie ein Blutrothes Oel / und seine grobe Erde fällt wie ein grau Excrement zuletzt an den Grund.
XXII.
Das wahrhafftige Elixir Proprietatis (wie es Paracelsus nennet) wird gemacht / wann man Myrrhen, Aloes und Saffran / Ana in dieses Menstruum wirfft. Dann solches Elixir schwimmet alsbald oben auff / ist ein grosses Cordial, und curirt / fast wie das Universale Elixir / alle geneßliche Kranckheiten / das Caput Mortuum aber fällt zu Grunde.
XXIII.
Dieses Menstruum solviret nicht allein allerhand gummata, und andere vegetabilische Wesen / sondern auch alle Oele und Balsam / die aus Vegetabilien entspriessen / welche alsdann so wohl bey Lebendigen / als Todten / Wunder verrichten / in deme diese letztern ohne weitere Mühe oder Oeffnung der Leiber damit unverweslich gemacht werden können.
XXIV.
Wiewohl diß Menstruum alleine auff die Vegetabilia specificiret ist / so ziehet es doch auch aus Mineralien und Metallen augenblicklich die Tinctur / kann aber ihre Principia nicht sämtlich separiren / weil es von der Natur darzu nicht verordnet / auch nützen die aus dem Metallischen Reiche dadurch gemachte Sulphura mit ihrer balsamischen Krafft der Lunge und Miltz nicht so viel / als das mit diesem Menstruo gemachte Elixir Proprietatis, so daß die Extraction der Metallischen Tincturen alleine Curiosität wegen hier angeführet wird.
XXV.
Weil dieses Vegetabilische Menstruum ewig während ist / so muß man sich auch in acht nehmen / damit in seiner Abscheidung von dem Oel und Spiritu der Vegetabilien durch Unvorsichtigkeit nichts verlohren werde / welches verhütet wird / wann man die Destillation gelinde im Balneo vaporoso verrichtet / und das Geschirr zuvor wohl lutirt und wieder getrucknet hat. Das Menstruum gehet über mit dem Phlegmate des Vegetabilis, von welchen man es scheidet durch Destillation in Balneo zu weiteren Gebrauch / es läst alsdann das Oel und den Spiritum des Vegetabilis am Grunde liegen / die doch mit einer gemeinen Hitze leichtlich übersteigen / und nicht das geringste zurücke lassen / in deme alles durch das Menstruum gereiniget / wieder gebohren und geistlich gemacht worden.
XXVI.
Wann man das Oel / oder die Essentz eines Vegetabilis, auf jetzt beschriebene Art / oder einen anderen Philosophischen Weg (wie wir in unserer zweyten Manier zur Bereitung dieses unsers Elixirs gemeldet haben) gemacht / weißt/ Natur gemäß/ohne Feuer zu putrificiren/ alle unsere Principia daraus zu ziehen / solche nachmahls zu reinign und conjungiren/ damit alles geistlich und durchscheinend werde/ erlanget man aus sothaner zweyten Regeneration das grösseste Arcanum der Vegetabilien in der Welt / welches nicht allein in seinem eigenen Reiche fürtrefflich ist sondern auch im Mineralisch= und Metallischen Reiche grosse Kräffte erweiset / nur dem Golde und Silber ist sein Vermögen zu schwach.
XXVII.
Wann diese unsere Wiedergebohrne Essentz mit unserer ersten Materie determiniret wird / so schliest sie radicaliter auf allerhand Metallen und Mineralien / fürnemlich Gold / daß darinnen / wie Eiß in warmen Wasser / zerschmeltzt/ und weder durch Destillation und Digestion, noch anders Mittel / zu Gold reducirt werden kann / sondern es entstehet daraus nach geschehener Philosophischen ersten Digestion, Separation der 3 Principien, Putrefication, Conjunction, zweiter Digestion, und dritten Regeneration die allerhöchste Artzney vor menschliche Leiber / die mit dem grossen Elixir einerley Kräffte in Kranckheiten hat/und wie unser Mercurius simplex, in Mineralien und Metallen wircket.
XXVIII.
Dieses Menstruum Regeneratum wird durch unsere Materie determinirt / vermittelst bey der Amalgation, in welcher das Vegetabilische Menstruum, aus der ersten Materie alle ihre Kräffte und Eigenschafften ziehet / mit seinen eigenen vereiniget/ und dadurch/ gleich unserm Mercurio simplici, die Macht empfänget alle eschaffene Dinge / denen es zugesetzt / zu solviren und flüchtig zu machen.
XXIX.
Viele gläuben / daß beyde Elixir aus unterschiedlichen determinirten Dingen / als menschlichen Excrementen, Mäyen=Thau (welcher ihr Menstruum von oben / und ihr Wolcken Wasser seyn solle) etc. praeparirt werden können / auch das müglich das grosse und Universalissimum Elixir aus diesem unsern / oder einem andern regenerirten Menstruo Vegetabili, zu machen: Weil wir aber wissen / daß solche Menstrua, von ihren Liebhabern Mercurii Philosophorum genannt / ob schon die Metallen solviren und flüchtig machen / dannoch nicht das geringste darin verbessern können / so halten wir alle dergleichen Dissolutiones und Volatilisationes weder Natur gemäß noch Philosophisch/ und versichern mit gutem Grunde / daß oben angeführte Meynungen falsche Vorurtheile und selbst eingebildetet Grillen sind.
XXX.
Wir lehren mit unserm hocherleuchteten Meister Hermete, daß der Allmächtige GOTT in Erschaffung der Welt einem jeden Dinge die Natur eingepflantzet habe / etwas seines gleichen zu gebähren / und daß unsere Elixiria auff keinen solchen Philosophischen Wege erlanget werden können: sondern das Universale Elixir wird aus unserer undeterminirten Materie, das spezificirte Elixir aber aus der Vegetabilischen Wurtzel / gezeuget / wie unsere Aphorismi in beyden Tractätlein genugsam anzeigen.
XXXI.
Endlich aus Liebe zu unsern Nechsten / der Weißheit und Kunst sucht / warnen wir jedermann/ so begierig ist / eins von diesen Elixiren zu bereiten/ daß er alleine unsern vorgeschriebenen unbetrüglichen Regeln / die ein kurtzer Begriff aller wahren und Philosophischen Theorie und Praxis sind / folge und alle übrige vorbey gehe; Dieweil die meisten Bücher=Schreiber ihre Sachen von hören sagen / oder blossen Bücher lesen / haben / und wenig gefunden werden / die aus eigener Erfahrung die Welt unterrichten können. Wiedrigenfals kann der Filius Artis leichtlich durch einen Sophist, oder vermeinten Adeptum, betrogen werden.
***
Wie sind die Aussagen des Textes zu bewerten, also zu übertragen und praktisch umzusetzen? Welche Realitätsebene spricht hier? Vor allem: welche der Aussagen ist in welche Ebene einzuordnen? Wie kommt es, daß mehrere ausgepichte Fachleute zu völlig widersprüchlichen Deutungen und Ergebnissen gekommen sind? Die Vorschrift führt Frater Albertus zu einem gegossenen Stein aus dem Salz der Pflanzen, Manfred Junius zu einer stark sulfurischen, alkoholischen Lösung.
Was ist das Circulatum Minus?
Ich möchte hier die von den bisherigen Kommentatoren vorgegebenen Deutungen zunächst außer Betracht lassen. Welche physischen Eigenschaften werden dem Circulatum Minus im Originaltext zugeschrieben?
I ist nur ein Elixir
V wodurch alle Vegetabilia, so hinein geworffen sind /
XIII nehmlich / daß das Volatile allezeit über das Fixum praedominire
XV Wann der Spiritus nicht sehr scharff
XVI Das Schweffelichte Mittel muß im Fortgange der Destillation nicht aufsteigen - das heßt, es ergibt ein Destillat.
XXIII Dieses Menstruum solviret = Lösungsmittel.
Es gibt noch eine ganze Reihe dieser Textstellen, die nur einen Schluß zulassen, daß es sich um eine alkoholische Füssigkeit handeln muß.
Bisweilen kann es sehr nützlich und hilfreich sein, ein Rätsel von hinten her aufzuwickeln. Wenn ich weiß oder mindestens eine Vorstellung davon habe, wie das Ergebnis einer Arbeit aussieht, ist es erheblich leichter, den Weg dorthin zu finden. So ging es mir auch bei der Arbeit mit der Circulatum-Vorschrift. Wie wird also die Funktion des Circulatum beschrieben?
XIX Wann man in dieses Vegetabilische Elixir wirfft ein grün und geschnitten Vegetabile
Das heißt: es muß sich nach dieser Aussage um eine Flüssigkeit handeln. Es funktioniert nur mit frischen Pflanzen, die auch zerkleinert sein müssen.
so putrificirt sichs in weniger / als einer halben Viertel Stunde Zeit. (ohne äußerliche Hitze) ein Theil fällt gantz erstorben zu Grunde / (welcher nur die unreine Erde ist/) obenauff schwimmet ein gelbes Oel / darinnen sich das Saltz mit dem Schweffel auffhält / und das Elixir kriegt die Farbe des gebrauchten Vegetabilis in dem es dessen Spiritum eingeschluckt hat; Solten aber diese Zeichen nicht erscheinen / so wäre unrecht gearbeitet.
Ich hatte erstmals 1982 die Gelegenheit, einer Vorführung des Circulatum Minus von Manfred Junius beizuwohnen und es in der folgenden Zeit öfter wiederholen können. Dabei ereignete sich folgendes:
Das Circulat stellte sich als eine klare gelbliche Flüsigkeit dar, die einen eigentümlich scharfen Geruch hatte, der von Alkohol, Canadabalsam und von leicht ammoniakalisch riechenden Salzen bestimmt wurde.
Ein Blatt einer frischen, safthaltigen Pflanze wurde fein gehackt, davon eine kleine Menge, etwa ¼ Teelöffel, in ein Reagenzglas gegeben. Die Pflanzenmasse wurde mit einigen Millilitern des Circulats übergossen, bis sie etwa 1-2 cm darüberstand, und gründlich geschüttelt. Nach wenigen Sekunden trübte sich die Mischung milchig, nach einigen weiteren begannen sich aus der Pflanzenmasse klare smaragdgrüne Öltropfen abzuscheiden, während die überstehende (bei manchen Zusammenstellungen von Circulat/Pflanze auch darunterstehende) Flüssigkeit schwach gelblichgün und ebenfalls klar wurde. Die grünen Tröpfchen wurden dem essentiellen Sulfur zugeordnet, die klare, darüberstehende Füssigkeit dem Merkur, der Pflanzenrückstand dem Sal oder auch caput mortuum.
Weitere Untersuchungen zeigten dann folgendes: Diese Trennung funktioniert tatsächlich nur mit safthaltigen Pflanzen. Mit Drogen = getrockneten Pflanzen nur dann, wenn man sie vorher mit Wasser einweicht und auch ein wenig des Wassers bei der Trennung zugibt. Mit Frischpflanzen nur dann, wenn sie auch genügend Wasser enthalten: sonnentrockene Löwenzahnblätter, Zinnkraut, Rosmarin usw. gehen nicht oder nur sehr mäßig.
Dafür klappt es sehr gut mit saftigen Pflanzen, auch wenn diese keine ätherischen Öle enthalten. Eine der besten Trennungen gelang mit dem Blatt eines "Talerbaums". Diese Dickblattgewächs hat mit seinen Blättern enorme Salz- und Wasserspeicher und ist völlig frei von ätherischen Ölen.
Eine Untersuchung der grünen Öltropfen durch Dünnschicht-Chromatographie1 ergab, daß sie überwiegend die Referenzflecken des Circulats selbst aufwiesen und darüberhinaus nur ein grüner Fleck (Chlorophyll) zu finden war.
Das ließ, in Zusammenhang mit dem Fehlen ätherischer Öle im Talerbaum, darauf schließen, daß diese sulphurischen Tropfen aus dem Circulat selbst stammen müssen. Sie werden durch die Pflanze geprägt, beeinflußt, ziehen deren sulfurische Qualtitäten an sich. Wenn die Pflanze ätherische Öle enthält, sollten diese auch in den Tropfen auftauchen. Dies wurde später durch einige weitere Experimente mit eigenen Circulaten und Dünnschicht-Chromatographie bestätigt.
Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen. Wenn man zu etwa 5 ml Circulatum Minus ca. 1 ml Wasser zugibt, geschieht genau das gleiche: Die Mischung wird schlagartig milchig trüb, nach einigen Minuten scheidet sich das ätherische Ö ab. Wir haben hier das Phänomen, daß in einem hochprozentigen Weingeist eine verhältnismäßig große Menge an ätherischem Öl gelöst sein kann. Nach Wasserzusatz bricht diese Lösung mit dem Sinken des Alkoholgehalts. Genauso wie bei Ouzo oder Pernod, dem man Eiswasser zugibt.
Woraus besteht es?
- Aus der Dianae undeterminirten Thränen (III) - Weingeist
- nach dem Apollo erschienen ist (III) - Sulfur/ätherisches Öl
- mit der fixen vegetabilischen Erde / die Philosophisch praeparirt, geistlich gemacht seyn muß (IV) - Salz
- und nachdem die drey Elemanta separirt / determinirt und wiederum zur gloriösen Auferstehung gebracht sind (III) - Ich komme später noch einmal detaillierter darauf zurück.
Weitere Hilfsmittel sollen im Prinzip nur durch das Produkt hindurchgehen. Beim dritten Verfahren werden zwar von außen ätherische Öle und ggf. Harze zugesetzt, diese sollen aber nach Nr. XVI/XVII nicht ins Endprodukt mit eingehen. Ihr Zweck liegt ausschließlich darin, das Menstruum zu schärfen, die Salze zu aktivieren, die Verbindung von Alkohol und ätherischem Öl zu verbessern.
Wie wird es bereitet?
Es werden drei verschiedene Verfahren beschrieben, von denen aber nur der dritte, der "gemeinste Weg" ausführlich beschrieben ist. So befassen sich die Kommentare und Experimente auch vor allem mit diesem dritten Weg.
Herstellungsvorschrift 1 (Aphorismen III-IV)
Herstellungsvorschrift 2 (Aphorismus V)
Herstellungsvorschrift 3 (Aphorismen VI-XVIII)
Vor allem die Deutungen des dritten Wegs von Frater Albertus und Manfred Junius sind in den letzten Jahren weit verbreitet worden, kommen aber zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Der Text von Manfred Junius liegt in dessen Buch 'Pflanzenalchemie' den meisten Lesern vor. Ich erspare mir daher umfangreiche Zitate daraus.
Ein fixes Pflanzensalz (gewonnen durch mehrfaches Umkristallisieren aus der Asche) wird mit einem flüchtigen sulphurischen Spiritus, also einem der vielen verbreiteten Aquae vitae versetzt. Also ein gebranntes Wasser aus vergorenen oder mit Alkohol mazerierten Pflanzen. So wird dies auch in den 'Collectanea Chemica' beschrieben. Der Gehalt an Sulfur, ätherischem Öl, ist allerdings zu niedrig und muß erhöht werden. Da nur das Destillat verwendet werden soll, das Salz aber fix ist, muß dieses transformiert, flüchtig gemacht werden. Diesem Zweck dient die Verstärkung durch zugesetzten flüchtigen Sulfur und die eventuelle Umsetzung mit Harzen oder ätherischen Ölen, die beide Qualitäten mit sich bringen, wie zum Beispiel Zedernholzöl.
Frater Albertus schließt aus dem Text, aus der Beschreibung der Handgriffe, daß das Ergebnis ein Stein sein müsse, der dann in die zu trennende Pflanze eingetaucht wird. Zu beachten ist hierbei, daß sich Frater Albertus mit großer Sicherheit auf den englischen Originaltext bezieht. Man merkt das vor allem an der Verwendung eines bestimmten Begriffs. In Nr. VII heißt es:
"is only a sulphureous and bituminous Matter"
im originalen deutschen Text übersetzt mit
"ist eine Schwefel= und hartzigte Materie, entsprossen"
In Rulands 'Lexicon Alchemiae', das Frater Albertus sicher auch in der englischen Übersetzung von 1612 zur Verfügung stand, ist bitumen richtigerweise mit Jews;˜ Pitch, Fossil Tar, Dry Coal,weiter dann auch mit Greeks Asphalt übersetzt. Der Begriff resina wird nur sehr kurz abgehandelt, das englische korrespondierende Wort für hartzigt wäre resinous oder pitchy. Gleichwohl wird aus dem Textzusammenhang klar, daß es sich nicht um das Erdpech handeln kann, es wird eindeutig gesagt, daß es "aus einer todten oder lebendigen Pflanze" entsprossen ist. Dies läßt als gewiß annehmen, daß der Begriff in diesem Zusammenhang nur für die Konsistenz der Materie steht.
Dieser Textzusamenhang wird leider in der deutschen Wiedergabe in der 'Quinta Essentia' nicht mehr deutlich. Hier wird das Faksimile der alten deutschen Ausgabe mit dem Kommentar von Frater Albertus zusammengebracht und verliert so seinen Sinnzusammenhang. Ich nehme an, daß dieser englische Begriff bituminous Frater Albertus dazu gebracht hat, die folgende Erläuterung zu bringen, hier zitiert aus der 'Quinta Essentia' Nr. 3:
"(VII) Nachdrücklich wird die Sulphurische Materie betont, welche er auch harzig2 nennt. Dies (diese) bezieht sich auf die harzige Substanz, welche an den reinen alchemistischen Pflanzen-Sulphur gebunden ist. Diese kann aus der frischen, ebenso wie aus der getrockneten Pflanze extrahiert werden. Wenn das Salz gereinigt worden ist, dann ist es bereit, das gereinigte essentielle Öl und den gereinigten Geist (Alkohol) zu empfangen."
"(VIII) der nächste Vorgang beschreibt, wie das gemacht wird. Das was harzig genannt wurde, ist nichts anderes als der kalzinierte Rückstand des Sulphurs, auch bekannt als Salz des Sulphurs. Dies, zusammen mit der extrahierten Pflanze, welche ebenfalls zur schwarzen Asche (Kohle) reduziert worden ist, wird dann in eine Retorte gegeben und der gereinigte Geist (Merkur) und das [gereinigte] Öl hinzugefügt. In einer Hitze, gleich der, welche nötig ist, um Hühnereier auszubrüten, wird er destilliert. Hier taucht wieder ein Widerspruch auf, denn es bedarf einer größeren Hitze, den Alkohol überzudestillieren, als einer solchen, die erforderlich ist, Eier auszubrüten. Die Antwort ist sehr einfach, der Vorgang wird vollbracht durch die Herstellung eines Vakuums in der Retorte, was Alchemisten zu machen verstanden, ohne die anspruchsvolle Ausstattung eines modernen Chemikers."
Dem widerspricht Manfred Junius vehement. In einem kurzen, in englisch erschienenen Artikel, verweist er auf eine Textstelle in den 'Collectanea Chemica' (London 1893), Seite 65 ff. Hier wird der Prozeß wohl erstmals ausgearbeitet und kommentiert, wobei Manfred Junius teilweise wieder zu eigenen Deutungen kommt. Grundsätzlich für seine Sicht ist aber wohl der Satz in Nr. XIII: Ob nun schon das Saltz völlig zur Reinigung mit seinem eigenem Spiritu praeparirt ist / so kan solche doch nicht geschehen / wann man beyder rechte Proportion (nehmlich / daß das Volatile allezeit über das Fixum praedominire) nicht in acht nimbt / dann wiewohl beyde Subjecta einander im Wesen nicht entgegen sind / so werden sie doch durch ungleiche Eigenschafften unterschieden.
Sicher trifft auf den von Frater Albertus produzierten Stein der Satz in Nr. XIX zu: Sollten aber diese Zeichen nicht erscheinen / so wäre unrecht gearbeitet.
So ist also auf Grund eines einfachen Übersetzungs- oder Übertragungsfehlers ein jahrelanger Streit zweier "Schulen" entstanden.
Probearbeit
Ich möchte Sie nun zu einem kleinen Experiment einladen und die Bestandteile nach der dritten Vorschrift ohne weitere Arbeitsschritte zusammenfügen um das Prinzip zu verstehen. Wichtig ist dabei vor allem, daß der eingesetzte Alkohol möglichst hochprozentig, mindestens 96 % ig ist.
Gehen Sie als "gemeiner chymicus" her und nehmen
I. Ätherisches Öl 3 - 5 ml (Zedernholzöl oder andere Öle)
Pottasche 3 - 4 g
Hirschhornsalz 1 - 2 g
Spiritus 96% 100 ml
II. Ätherisches Öl 3 - 5 ml (Zedernholzöl oder andere Öle)
Pottasche 1 - 2 g
Hirschhornsalz 1 - 2 g
Essigessenz 5 - 10 ml
Spiritus 96% 90 ml
Mischen Sie, schütteln kräftig durch und gießen Sie die Flüssigkeit von dem nicht aufgelösten Salz ab (dekantieren).
Die beiden Rezepturen unterscheiden sich nur durch den bei der zweiten zugesetzten Essig. Versuchen Sie es einmal mit verschiedenen ätherischen Ölen und in verschiedenen Proportionen. Sie werden sehr rasch feststellen, mit welchen Sulphuribus es klare Lösungen gibt und mit welchen nicht, welche Mischungen leichter brechen, bei welchen sich klare Öltropfen abscheiden usw. Das funktioniert so ganz ohne Zusatz von Harzen oder weiteren Hilfsmitteln, wenn wir nicht den Ehrgeiz haben, aus den Experimenten immer wieder das Circulatum Minus zu regenerieren. Das Experiment hilft enorm, die Bedingungen und Voraussetzungen zu verstehen, unter denen ein Circulatum Minus "funktionieren" kann.
Wenn Sie dann aber noch hergehen, dieses künstliche Gebräu einer mehrtägigen Circulation zu unterziehen, können Sie schon ein sehr ordentlich trennendes Produkt bekommen, das der Vorschrift des dritten Wegs sehr nahe kommt.
Ich möchte - im Licht dieser kleinen Probearbeit - nun noch einmal auf die erste Vorschrift zurückkommen. Sie besticht durch die absolute Reduktion auf das Bildliche. Um sie zu entschlüsseln, müssen wir sie immer wieder durcharbeiten, mit der Vorschrift 3 vergleichen.
Grundsätzlich wird hier die Darstellung einer voll aufgeschlossenen spagyrischen Essenz beschrieben. Also
- die Abtrennung des ätherischen Öls (nach dem Apollo erschienen),
- die Gewinnung von reinem Weingeist durch Vergären der Pflanze (der Diana undeterminirte Thränen)
- die Bereitung eines hoch gereinigten Salzes, das dann "philosophisch präparirt " werden muß
Die Aufbereitung des Salzes kann auf verschiedenen Wegen erfolgen: Wie beim dritten Weg durch Umsetzung mit Harzsäuren (sehr gut und neutral ist auch Dammar), aber auch durch sehr vorsichtige Calcination, die die ammoniakalischen Salze in der Pflanzenasche erhält oder durch Umsetzung mit Essigsäure aus verschiedenen pflanzlichen Quellen, die als genauso neutral = nicht wesenhaft angesehen wurde, wie der Weingeist. So kann ein Teil des Salzes flüchtig gemacht werden.
Eine derartige Essenz im höchsten Wesen stellt selbst ein äußerst potentes Arzneimittel dar. Wenn wir die Ausgangspflanze und die Aufarbeitung recht wählen, haben wir damit auch ein Mittel, das weit über die Wirkung der spezifischen Pflanze ins Archetypische des Pflanzenreichs hinein wirken kann.
Bewertung
Wie sind diese Aussagen nun zu bewerten? Welche Sprache, welche Realitätsebene gilt hier?
Wir müssen ganz klar davon ausgehen, daß von der gigantischen Zahl von Vorschriften, mit denen wir in der Zeit zwischen 1500 und 1700 überschüttet wurden, die behaupten, die Bereitung des Aurum potabile, des Philosophischen Merkurs oder gar des Steins der Weisen klar und nachvollziehbar zu beschreiben, wahrscheinlich kein einziger so einfach und direkt nachkochbar ist und zu diesem tatsächlichen Ergebnis führt, bzw. daß die dem Ergebnis nachgerühmten Eigenschaften und Kräfte wirklich in dieser (auch unter heutigen Erklärungs- und Beobachtungsbedingungen nachvollziehbaren) Form sich darstellen.
Bitte immer wieder realisieren: Viele, sehr viele Behauptungen in den alten Schriften sind auf einer Ebene richtig, und erscheinen auf einer anderen Ebene, bei naturwissenschaftlicher Betrachtungsweise (so, wie diese Disziplin sich derzeit versteht) als gnadenlos übertrieben und falsch. Die Autores haben dabei noch nicht einmal immer wissentlich die Unwahrheit gesagt, nur ihre Wahrnehmung der Vorgänge berichtet.
Welche Fähigkeiten werden ihm zugeschrieben?
Über die Fähigkeit des Circulatum Minus, aus frischen Pflanzen ein sulphurisches Öl abzuscheiden, wurde schon ausführlich berichtet.
Problematischer ist es mit den postulierten Fähigkeiten als Scheidemittel in den anderen Naturreichen. Die Trennung von Korallen (Nr. XXI) ist weder mir noch irgendjemand anderem gelungen, den ich kenne. Das liegt entweder daran, daß das Circulatum Minus eben nicht das Circulatum Minus ist oder daran, daß der Autor geflunkert und ein wenig übertrieben hat.
Aus Aloe, Safran und Myrrhe (XXII) läßt sich etwas Schönes gewinnen - wenn man etwas Wasser zusetzt, darin die drei Drogen ein wenig mazeriert und man erst dann das Circulatum Minus zugibt. Dies soll dann das Elixir Proprietatis darstellen. Aber es ist gewiß nicht in der Lage, "alle geneßliche Kranckheiten" zu curiren. Dieser gewaltig übertriebe Effekt des paracelsischen Wundermittels steckt in den Bestandteilen einfach nicht drin! Aus Milch läßt sich Butter machen, weil sie das nötige Fett enthält. Aus Wasser kann man keine Butter machen - so Jamgön Kongtrul in dem Gedicht auf der letzten Seite.
Harze, Öle, Balsame und Gummata werden natürlich von diesem hervorragenden Lösungsmittel aufgeschlossen (XXIII).
Problematischer sieht es mit dem Aufschluß von Mineralien und Metallen (XXIV) aus. Urbigerus schränkt hier auch deutlich ein, behauptet aber immerhin, daß das Circulatum Minus in der Lage sei, aus ihnen die Tinktur zu ziehen.
Diese Behauptung läßt, wie schon die Auflösung der Corallen eine Vermutung aufkommen: Es ist zum einen sehr gut möglich, fast wahrscheinlich, daß der Autor bei der Darstellung nicht alles berichtet hat, was in die Herstellung einfließen kann. Zum anderen kann es auch verschiedene Circulata geben.
Zum Beispiel erzeugt der klassische Prozess des Opus Vini oder des Tartarus unter anderem auch Essigsäure, die unter den Bedingungen einer längeren Zirkulation mit dem Weingeist zu verschiedenen Ester-Verbindungen reagieren wird (dies wird die Effektivität als Lösemittel erheblich steigern). Damit kann dann wirklich auch die Substanz von Corallen gelöst und aufgeschlossen werden. Ein weiterer Hinweis auf den Einsatz der Acetate oder anderer Säuren liegt bereits in dem sehr knappen Text der Aphorismen III und IV. Wir finden darin mehrere Hinweise darauf, daß das Salz füchtig gemacht werden muß. Hier, beim Königsweg, können wir mit dem fixen vegetabilischen Salz des gemeinen dritten Wegs nichts ausrichten. Das Salz muß "Philosophisch praepariert und geistlich gemacht" werden. Dies wird gewöhnlich durch Umsetzungen mit Essigsäure erreicht, die als wichtiges Mittel der Transformation ebenso häufig eingesetzt wie in den Texten verschwiegen wird.
Vielleicht führt diese Anregung den einen oder anderen ja auch zu Ergebnissen, die uns in Bezug auf die anderen Fähigkeiten als Menstruum befriedigen.
Nutzen
Über die therapeutischen Möglichkeiten des Circulatum finden wir vor allem folgendes:
Das Circulatum Minus soll ja aus jeder Pflanze das Wesen, ihre im Sulphur manifestierten Heilkräfte herausziehen und so zu einer rasch zu bereitenden und stark wirkenden Medizin zur Verfügung stellen.
Wenn allerdings das abgeschiedene Öl primär aus dem Circulatum Minus kommt und nicht aus der Pflanze, wird es auch deren Effekt nur dem eigenen, stark anregenden hinzuaddieren.
Nun gibt es allerdings einige weitere Punkte zu bedenken, die mir bei den bisherigen Kommentatoren nicht genügend berücksichtigt zu sein scheinen:
Der Aufwand, das Circulatum Minus lege artis zu bereiten, ist erheblich höher, als eine einfache spagyrische Tinktur oder Essenz einer Pflanze herzustellen.
Das Circulatum Minus stellt selbst ein Elixir, eine spagyrische Essenz in hohem Grade dar. Dabei ist es prinzipiell gleichgültig, nach welchem der Verfahren es hergestellt worden ist. Die stärkste und klarste Ausrichtung hat es allerdings, wenn es nach Methode 1 aus einer einzigen Pflanze bereitet wurde.
Dieses Menstruum, entweder aus einer einzigen Pflanze (nach den beiden ersten Verfahren) oder einer Mischung aus ätherischem Öl, Salz einer Pflanze und Harzen bereitet, trägt vor allem das Wesen und die Heilkraft seiner Herkunft mit sich. Es wird durch die inkorporierten Pflanzen geprägt werden, dies ist völlig gewiß, aber allem voran steht das durch die philosophischen Handgriffe ja auch noch energetisch hoch aufbereitete Elixir selbst.
Meine Erfahrungen damit haben gezeigt, daß vor allem sensible Personen das Präparat überhaupt nicht einnehmen müssen. Es strahlt über die Glaswandung der Flasche weit aus und vitalisiert, öffnet gewissermaßen "die Poros" des Patienten.
Die Deutung dieses Textes - jedes alchemistischen Textes - kann also an verschiedenen Stellen in die Irre führen:
- Die Übersetzung der Vorschrift in einen laborantischen Prozeß
- Die Wahrnehmung und Deutung der laborantischen Abläufe
- Die vorgeblich oder tatsächlich erreichten/erreichbaren Ergebnisse
- Die Wahrnehmung des fertigen Produkts
Als weiteres Beispiel hierfür möchte ich hier noch einen Text von Frater Albertus über die Öle aus den Metallen anführen3 :
"Ihm (dem Verfasser) wurde gesagt, daß vor über 100 Jahren Wissenschaftler mit Atomen gearbeitet haben und daß jedermann weiß daß kein Öl (alchemistischer Schwefel) aus Metallen herausgezogen werden kann. Dies würde bedeuten, daß die Stoffe, im Laboratorium des Verfassers unter genauer Beobachtung durch andere freigemacht, eine Erdichtung unserer Einbildungskraft sind. Das ist schwer zu akzeptieren, wenn die greifbaren Resultate die Forderungen der zuverlässigen Spektralanalyse befriedigen"
"Wie lange die Meinung unter unseren Spitzenwissenschaftlern vorherrschen wird, daß kein Öl oder alchemistischer Schwefel aus Metallen erhalten werden kann, trotz der Tatsache, daß es gegenwärtig auszuführen ist, wird allein die Zeit erweisen."
Nun ist es allerdings so: Bei der Herstellung des Öls aus dem Antimon oder dem Eisen wird mit größter Sicherheit kein Öl aus dem Mineral gewonnen. Vielmehr ist es so, daß das Metall, das Mineral durch katalytische Prozesse auf das Menstruum wirkt oder auch mit diesem zu metallorganischen Verbindungen reagiert. Diese organischen Substanzen, die in einzelnen Fällen, zum Beispiel bei der Arbeit mit Blei durchaus deutlich nachweisbare Anteile des Metalls enthalten können (also in diesen Fällen durchaus nicht ungiftig sind!), haben öligen, sulphurischen Charakter, werden ggf. auch mit überdestilliert, lassen sich mit den anderen Essentialen wieder vereinigen, lassen sich rotieren, auch figieren. Auch in den Fällen, in denen sie keine Spur des Metalls enthalten, sind sie von diesem geprägt, beeindruckt. Dies läßt sich mit verschiedenen Verfahren nachweisen, die allerdings wiederum von der klassischen Naturwissenschaft nicht akzeptiert würden: Bioresonanz, Pendel, Rute, Kinesiologie, Kristallreaktionen.
Und nun frage ich mich: Ist es nicht viel wunderbarer, wenn durch die Umsetzung mit Antiomonoxid in einem geschärften Weingeist (Kerckring'sches Menstruum, ein mehrfach über Salmiak, also Ammoniumchlorid abgezogener, nahezu wasserfreier Weingeist) ein rotes Öl entsteht, das gewissermaßen die Seele, das ungiftige Heilprinzip des Antimons darstellt?
Und noch etwas. Die Zweifel an der Frage, ob dieses so dargestellte Menstruum tatsächlich eine Art Stein der Weisen im Pflanzenreich darstellt oder nicht, sollen keine Schlußfolgerung daüber nahelegen, ob das "Große Werck", der "Gebenedeyte Stein der Weisen" nun tatsächlich existiert haben mag oder nicht.
Und noch ein weiteres: Ich möchte keineswegs die bedeutende Rolle des Frater Albertus, die dieser für die Verbreitung und Wiederbelebung alchemistischen Forschens vor allem in der englisch- und deutschsprachigen Welt hat, schmälern. Aber warum sollte er in jeder seiner Aussagen richtiger sein, als irgendein anderer der klassischen oder modernen Autoren. Und manchmal denke ich mir: Vielleicht hat dieser alte Fuchs auch dagesessen und gefeixt, daß so viele treue Jünger seiner falsch gelegten Fährte gefolgt sind, ohne selber nachzulesen und nachzudenken. Gerade an diesen falschen Fährten entscheidet es sich ja immer wieder, welcher Schüler selbst auch Forscher, Denker, Philosoph ist, und welcher einfach den vorgegebenen Kanon nachbetet. Und es ehrt in meinen Augen Frater Albertus als Lehrer, wenn in der 'Quinta Essentia' 2, der offiziellen Schrift der Paracelsus-Research-Society, der Herausgeber den Schluß äußern kann, daß es sich trotz der Kommentare des Meisters offenbar um ein Lösungsmittel handeln muß.
Eine besondere Ausgabe der Aphorismen des Circulatum Minus mit dem deutschen und englischen Text sowie den Kommentaren des Frater Albertus, Manfred Junius und den 'Collectanea Chemica' ist in Vorbereitung.
Karl Hollerbach
LITERATUR:
Anonym: Praxis Spagyrica Philosophica Lapidis Philosophorum, Leipzig 1711; Hrsg. Frater Albertus, Salt Lake City 1966, dt. Privat-Übersetzung des Kommentars U. Grohmann
Baron Urbigerus: Besondere Chymische Schriften Capitul, hier: CIRCULATUM MINUS URBIGERANUM, Oder Das Philosophische Elixir / Aus Dem Vegetabilischen Reiche. Auf drey unterschiedliche Wege eingerichtet, Hamburg, Bey Benjamin Schillern, Buchhändlern im Thurm / ANNO 1705 - vereinzelte private Nachdrucke, Reprint 1994 bei D. Hornfisher, Hagen
Frater Albertus: Golden Manuscripts, (darin Text und Kommentar englisch), ohne Datum, Nachdruck Kessinger Publ. Comp., USA, ca. 1988
Quinta Essentia, Hefte 2 und 3 (darin dt. Text und Kommentar) 1976/77, München
Collectanea Chemica Being Certain Select Treatises on Alchemy and Hermetic Medicine by E. Philaletes, Dr. F. Anthony, G. Starkey, Sir G. Ripley and Anonymous Unknown. Nachdruck Kessinger Publ. Comp., USA. ISBN 0 922802 81 5, ca. 1988
Manfred Junius: Praktisches Handbuch der Pflanzen-Alchemie, Interlaken 1982
1 Kurz: DC. Ein hervorragendes und recht einfach durchzuführendes analytisches Verfahren. Man kann damit Stoffgemische rasch aufschlüsseln und bei geeigneten Vergleichssubstanzen auch die Einzelbestandteile identifizieren.
2 Im englischen Original-Kommentar steht statt harzig natürlich immer immer bituminous, in der Quinta-Essentia-Ausgabe aber harzig!
3 Aus der Einführung von Frater Albertus in die 'Praxis Spagyrica Philosophica'