Urbigerus in Gotha
Beitrag von Oliver Humberg
Karl Hollerbach hat im Hermes Nr. 15 (1999) eine interessante These zum berühmten Circulatum minus des Barons Urbigerus entwickelt und angeregt, dieses Menstruum gewissermaßen als „Instant-Produkt“ nachzubauen. Mich selbst hat direkt sehr interessiert, wer denn dieser ansonsten unbekannte Baron Urbigerus gewesen sein soll, auf dessen Konto dieses hochgelobte und nunmehr vielleicht als simpler chemischer Trick entlarvte Menstruum geht.
Das wenige, was man über Urbigerus weiß, geht auf Benedikt Nikolaus Peträus zurück, der ihn mit einem Italiener namens Borghese alias „C. von Siebenb.“ identifiziert. Nach Peträus hat Urbigerus Kontakte zum englischen König Karl II. und zu Herzog Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg unterhalten. In Gotha sei auch anläßlich einer gelungenen Transmutation im Jahre 1685 in Gotha eine chymische Münze geschlagen worden, die Peträus näher beschreibt. Aus dem auf der Münze zu lesenden Namenszug Sorberger erhalte man nun per anagramma den Namen Borgese. Da bleibt natürlich ein kleiner Rest, und der gothaische Stempelschneider Johann Georg Sorberger wird diese Interpretation auch nicht mittragen. Indessen behält Peträus Recht damit, daß Urbigerus im Jahre 1690 seine Schrift über das Circulatum dem Herzog in Gotha widmete. Was lag also näher, als in Gotha anzufragen?
Der alchemistische Nachlaß Friedrichs I.
Die gute Nachricht: Der persönliche Nachlaß Friedrichs inklusive einer reichen alchemistischen Überlieferung ist erhalten. Die schlechte Nachricht: Dieser Nachlaß ist praktisch nicht erschlossen. Ein Borghese oder Urbigerus sei nicht zu entdecken.
Mit Unterstützung durch den Forschungskreis Alchemie habe ich mich nun im Winter 2003 darangegeben, Friedrichs Nachlaß durchzusehen, teilweise selbst zu ordnen, und ausführlich zu verzeichnen.
Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg, um dessen alchemistischen Nachlaß es dabei ging, wurde am 15. Juli 1646 um „¾ auf acht Uhr abends“ auf dem Kaufhause zu Gotha als erster Sohn Herzog Ernsts des Frommen geboren. Er starb auf seinem Schloß Friedrichswerth am 2. August 1691 „abends kurz vor zehn Uhr“ im Alter von 45 Jahren.
Schon die kurze Lebensbeschreibung Friedrichs ‘Allgemeinen Deutschen Biographie’ (Band VIII, 2 f.) aus dem Jahre 1878 erwähnt seine alchemistischen Aktivitäten als maßgeblich. Eine wichtige, erst seit kurzem zugängliche Quelle stellen Friedrichs eigene Tagebücher dar, die aus den Jahren 1667 bis 1686 lückenlos erhalten und nunmehr auch mit einer biographischen Einleitung herausgegeben worden sind. Oft lassen sich die alchemistische Korrespondenz und die Tagebücher mit Gewinn parallel lesen. Dazu gibt es fast den gesamten alchemistischen Nachlaß in archivalischer Überlieferung. Lediglich ein Paket mit Korrespondenz der Jahre 1689 und 1691 gilt als vermißt.
Der Nachlaß umfaßt rund einen laufenden Meter Archivgut. Es handelt sich dabei im einzelnen um:
- drei Bände gehefteter und zwei, ursprünglich wohl drei Pakete loser Korrespondenzen und Notizen Friedrichs
- drei kleine Notizhefte Friedrichs
- zwei französische Bände aus den 1630er Jahren
- zwei deutsche Kunstbücher des ausgehenden XVI. Jhdts.
- mindestens zwölf medizinische, laborantische und theosophische Handschriften aus dem Besitz des Coburger Juristen Philipp Döbner
- drei Bände alchemistischer Korrespondenz des Herzogs Ludwig von Sachsen- Meiningen
- zwei Verzeichnisse, wozu der erhoffte große Geldgewinn aus alchemistischen Operationen angelegt werden solle, eines von Friedrich I., eines von einem seiner Nachfolger
- wiederum drei kleine Notizhefte Friedrichs
- einen astrologisch-divinatorischen Band, von Friedrich I. angelegt, aber später von einem Nachfolger beschrieben
- einen einzelnen niederländisch-deutschen Traktat über die Transmutation der Metalle
- sowie einen Karton mit diversem ungeordnetem Nachlaß, der so aussieht, als sei er nach Friedrichs Tod von dessen Schreibtisch zusammengesammelt und später um versprengte Einzelstücke erweitert worden.
- Intensiv verzeichnet habe ich die unmittelbar Friedrich I. zuzuordnenden Stücke sowie den schriftstellerische Nachlaß Philipp Döbners - die Korrespondenzen Ludwigs etwas überschlägiger. Insgesamt muß berücksichtigt werden, daß zur Erschließung im Staatsarchiv nur drei Wochen mit jeweils vier Öffnungstagen zur Verfügung standen, also nicht mehr als zwölf Tage.
Philipp Döbner
Einen nicht unwesentlichen Teil der gesamten Überlieferung bildet der schriftstellerische Nachlaß des Coburger Juristen Philipp Döbner. Aus dessen Besitz stammen mindestens zwölf Handschriften des Staatsarchivs. Die eigenen Texte verfaßte Döbner anfangs unter dem Pseudonym Philadelphus Dorothaeus Lucepetraeus, später dann unter dem Anagramm Pippinus Rehebold Uropetraeus.
Döbners Handschriften belegen ein ursprünglich medizinisches Interesse, das bis in seine Zwanziger Jahre zurückreicht. Eine eher „handfeste“ Alchemie und Metallurgie tritt jedoch vor umfangreichen theosophischen Darlegungen zurück, etwa in der Tradition eines Heinrich Khunrath. Abschriften fremder Texte und eigenständige Werke wechseln einander ab. Unter Döbners Namen ist nur 1646 eine kleine Analyse des Hornhausischen Wunderbrunnens gedruckt worden. Inzwischen sind mir aber weitere anonyme Drucke begegnet, deren Titel und Zusammenstellung Döbnerschen Handschriften entsprechen. Hier lassen sich also auf der Grundlage dieser Erschließung sehr wahrscheinlich noch allerlei Bezüge nachweisen.
Handschriften
Ich hatte lange gezögert, ob ich auch meine Notizen zu den alchemistischen Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha mitveröffentlichen sollte. Sie sind - mit wenigen Ausnahmen, die auf frühere Besuche zurückgehen - im wesentlichen in den drei Wochen der Archivalienerschließung entstanden, nachmittags bzw. abends, nach Schließung des Staatsarchivs, und dienten ursprünglich nur dazu, für mich selbst einen Überblick zu gewinnen.
Die Überlieferungslage der Forschungsbibliothek auf Schloß Friedenstein ähnelt der des Staatsarchivs. Die Sammlung alchemistischer Handschriften ist zwar sehr reichhaltig und wertvoll, zumeist jedoch nur sehr dürftig verzeichnet, einzelne Bände etwa als „ein hermetisches Werk“, ohne daß man den Inhalt, das Alter und den Umfang auch nur annäherungsweise abschätzen.