Quantenphysik

GESCHICHTE

der Alchemie

Über Quantenphysik und die Grenzen der Wissenschaft

Beitrag von Helmut Gebelein

Die Unabhängigkeit der Wissenschaft als Erkenntnismethode - wie wir sie heute kennen - von Kirche und Staat wurde erkauft mit der Reduzierung auf die Untersuchung wiederholbarer Experimente. Die Wissenschaft bezeichnete sich als wertfrei, für Moral war die Kirche zuständig, für politische Entscheidungen der Staat. Nimmt der Staat oder die Kirche diese Aufgabe jedoch wahr, etwa durch ein staatliches Gesetz, das den experimentellen Umgang mit genmanipulierten Produkten regelt, so ruft die Wissenschaft und die mit ihr verbündete Industrie nach der Freiheit der Forschung.

In letzter Zeit mehren sich die Stimmen, die die Auffassung vertreten, nunmehr würden die Naturwissenschaften wieder zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise zurückfinden. Ursache dieser Auffassung scheint mir zum einen eine Unkenntnis der Bedingungen zu sein, die eingehalten werden müssen, damit wir überhaupt Naturwissenschaften betreiben können. Zum anderen ist der kreative Prozeß, die Frage, wie kommt ein Wissenschaftler auf die neue, wichtige, interessante Idee, nicht im Rahmen der Naturwissenschaften zu beantworten. In Moment des Einfalls ist der Wissenschaftler Künstler. Nur die Ergebnisse sind verschieden. Das Kunstwerk ist einmalig. Der Wissenschaftler erhält als Resultat seiner Bemühungen eine Aussage, die allgemein gültig ist und der man die Entstehung nicht mehr ansieht. Nur noch in Anekdoten wird die Geschichte der Entstehung einer wissenschaftlichen Idee tradiert. Wird der wissenschaftlich wichtige Einfall in einer mystischen Erfahrung geschaut, so bedeutet das nicht, daß er selbst etwas mit Mystik zu tun hat, denn er ist nur gültig, wenn er innerhalb der Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis bleibt.

Alle Fragen nach Religion und Naturwissenschaften oder den religiösen Vorstellungen von Naturwissenschaftlern sind daher nur Fragen noch der Privatmeinung der Forscher. Wo erkennt man die Religiosität in ihren Ergebnissen? Die Gleichung E = mc² ist in gleicher Weise gültig, ob sie von dem sicherlich religiösen Albert Einstein oder irgend jemand anderem erstmals formuliert wurde. Ist die Formel einmal bekannt, kann sich jedermann leicht ausrechnen, welche Energie bei der Spaltung eines Urankerns frei wird.

Betrachten wir also die Grenzen der naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Herbert Pietschmann erläutert deren drei:

1. Die technologische Grenze

Das Hinausschieben der technologischen Grenze zum Beispiel durch verbesserte Analysenmethoden in der Chemie, oder zum Beispiel durch neue Mikrochips erweckt den Anschein des immerwährenden wissenschaftlichen Fortschritts. Nur - es bleibt bei diesem wissenschaflich-technischen Fortschritt. Einen Fortschritt in Bezug auf moralisches und ethisches Verhalten können wir im 20. Jahrhundert nicht feststellen.

2. Die methodologische Grenze

Diese Grenze hat sich die Naturwissenschaft selbst gesetzt. Sie ist in ihrer Methode und in ihren Modellen begründet. Die Lichtgeschwindigkeit als oberste Signalgeschwindigkeit ist eine solche Grenze, sie ist keine technologische Grenze. Wir konstruieren ein physikalisches Modell der Wirklichkeit, in dem die Lichtgeschwindigkeit konstant ist. Andere Modelle, in denen die Lichtgeschwindigkeit zwischen Null und Unendlich variiert, können ebenfalls konstruiert werden.

3. Die ontologische Grenze

Die logischen Axiome, die von Aristoteles stammen, wirken wie ein Filter, das - über die Wirklichkeit gestülpt - nur den widerspruchsfreien Teil durchläßt. Alles andere gehört nicht zum Weltbild der Naturwissenschaften. Es bleibt jenseits der ontologischen Grenze und wird - zumindest von Naturwissenschaftlern - nicht wirklich ernst genommen. Nun ist eine Grenze aber kein Ende, hinter einer Grenze liegt etwas Anderes, Verschiedenes, Neues. Fordern wir Widerspruchsfreiheit, wie es die Gesetze der Logik verlangen, so können widerspruchsvolle Probleme von den Naturwissenschaften nicht behandelt werden. Der Mensch lebt aber nicht in einer widerspruchsfreien Weit und so kann das Modell „Naturwissenschaften“ zur Beschreibung der Welt nicht ausreichen. Die Naturwissenschaften müssen, um das Prinzip der Widerspruchsfreiheit und Reproduzierbarkeit ihrer Experimente zu garantieren, eine Natur konstruieren, so, daß die Ergebnisse im Labor wiederholbar erhalten werden können. Diese Natur ist dementsprechend eine konstruierte, eine künstliche, die mit der Natur, wie sie uns außerhalb der Naturwissenschaft entgegentritt nichts gemein hat. „Der Ausruf 'Zurück zur Natur' würde unsere gegenwärtigen Naturforscher mit Recht überraschen, denn dort waren sie nie gewesen.“ stellt der Biochemiker Erwin Chagaff sarkastisch fest. (2

All das, was ich über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Methode gesagt habe, gilt natürlich auch für die neuen Wissenschaften, in denen angeblich alles anders ist und in denen wir jetzt endlich die Naturwissenschaften mit Mystik zusammenbekommen, doch ist das leider nicht richtig. Es sind drei wissenschaftliche Theorien, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt werden: Relativitätstheorie, Quantenmechanik und die Thermodynamik irreversibler Prozesse. In der 'Kritik der reinen Vernunft' hat Immanuel Kant die Bedingung der Möglichkeit, Naturwissenschaften im Sinn der klassischen Physik betreiben zu können, analysiert. Er schreibt: „Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht ursprünglich hineingelegt. So übertrieben, so widersinnlich es also auch lautet zu sagen: Der Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur, so richtig, ist gleichwohl eine solche Behauptung.“ (3 Auch daran hat sich nichts aber auch gar nichts geändert. Wird zum Beispiel unser akzeptiertes Modell des Weltalls, das Big-Bang-Modell durch neue Beobachtungen, wie die Sternansammlung „Große Mauer“ in Frage gestellt, so ist dies kein Grund für Traurigkeit. Im Gegenteil: Nun dürfen die Astrophysiker wieder daran gehen, neue Modelle zu erfinden.

Weiterhin schreiben wir der Natur ihre Gesetze vor, auch in der Relativitätstheorie, der Thermodynamik irreversibler Gesetze und der Quantenmechanik.

Letztere mußte entwickelt werden, um Widersprüche aufzulösen. Die klassische Mechanik fordert nämlich, wie Immanuel Kant im Lehrsatz 4 seiner Schrift 'Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft' ausgeführt hat, daß der Raum bis ins Unendliche teilbar ist und dabei seine Eigenschaften beibehält. Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibnitz entwickelten ja gerade für diesen Fall die Infinitesimalrechnung, in der die Größe der kleinsten Raumelemente zwar gegen Null gehen muß, aber niemals tatsächlich verschwinden, also gleich Null werden darf. Dies ist jedoch mit der Existenz von Atomen unvereinbar, denn diese haben, auch wenn sie sehr klein sind, eine endliche Größe. Der Physiker Ernst Mach betrachtete daher noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts mit guten Gründen die Atomtheorie als reine Arbeitshypothese, bedeutet sie doch, daß die klassische Mechanik im Sinne Newtons nicht ausreicht. Es dauerte also über hundert Jahre, bis nach Einführung oder Wiedereinführung der Atome durch John Dalton (1808) die dazu passende Physik, die Quantenmechanik entwickelt wurde.

Werner Heisenberg mußte in seiner Matrizenmechanik eben gerade den Grenzübergang gegen Null und damit die Infinitesimalrechnung aufgeben und zur Differenzenrechnung übergehen, in der mit Matrizen gerechnet wird, daher der Name seiner Rechenmethode für atomare Systeme.

Die Quantenmechanik ist ein mathematisches System, das den atomaren Bereich beschreibt. Physiker und Chemiker zweifeln nicht daran, daß diese mathematische Beschreibung zutreffend ist. Es gibt auch keine Probleme bei der technologischen Anwendung von Prozessen, wie zum Beispiel der Supraleitung, die nur durch quantenmechanische Effekte zu erklären sind. Chemische Systeme sind immer Vielteilchensysteme, das bedeutet, daß die Gleichungen der Quantenmechanik in diesen Fällen nicht geschlossen lösbar sind und nur Näherungslösungen mit großem Rechenaufwand zu erhalten sind. Wir haben es dabei nicht mit einer technologischen Grenze zu tun, es ist eine prinzipielle Grenze. Innerhalb des Modells Quantenmechanik sind keine Berechnungen möglich, die nicht Näherungslösungen darstellen. In gewisser Weise bleibt die Chemie damit eine Kunst, in der die Intuition nicht durch Mathematik ersetzbar ist.

Die eigentlichen Probleme beginnen aber bei der Frage, was die Quantenmechanik bezüglich der Realität aussagt. Die verschiedenen Interpretationen der Quantenmechanik sind mit verantwortlich dafür, daß diese mit Mystik vermischt werden. Zur Verdeutlichung des Problems möchte ich zunächst zwei Gedankenexperimente vorstellen.

Von Erwin Schrödinger stammt ein Paradoxon, das als Schrödingers Katze bekannt ist: „Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine: In einem Geigerschen Zählrohr befindet sich so wenig radioaktive Substanz, daß im Laufe einer Stunde vielleicht eines der Atome zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines. Zerfällt ein Atom, so wird dadurch ein Kolben mit Blausäure zertrümmert, wodurch die Katze getötet wird Überläßt man dieses System sich selbst, so beschreibt die Wellenfunktion nach einer Stunde einen Zustand, in dem die Katze zu gleichen Teilen eine lebende und eine tote Katze ist.“ Keine Angst, der Katze passiert nichts, es handelt sich nur um ein Gedankenexperiment.

Ein ähnliches Paradoxon konstruierte der französische Physiker Louis Victor de Broglie: „Eine Schachtel kann durch einen Schieber in zwei Teile geteilt werden. Die Schachtel enthalte ein Elektron. Nun wird die Schachtel geteilt und ein Teil bleibe in Paris, der andere werde nach Tokio gebracht. Die Quantenmechanik sagt nun, daß das Teilchen sowohl in der Pariser als in der Tokioer Schachtelhälfte ist. Durch eine Beobachtung ändert sich die Situation. Öffnet man die Schachtel in Paris, so findet man das Elektron oder nicht, damit kann aber in jedem Fall das Meßergebnis in Tokio vorhergesagt werden. Die Beobachtung in Paris läßt das Elektron in Tokio zum Beispiel verschwinden.

Zur Lösung solcher Probleme formulierte John S. Bell schließlich seine Bellsche Ungleichung, auch als „Bells Theorem“ bekannt. Dabei geht er von zwei Voraussetzungen aus: 1. Realismus, damit meint er, daß physikalische Objekte unabhängig von ihrer Beobachtung existieren und 2. Lokalität, das bedeutet, daß sich physikalische Effekte nicht mit Überlichtgeschwindigkeit ausbreiten. Nun ergeben Experimente, daß mindestens eine der beiden Voraussetzungen falsch ist. Die Bellsche Ungleichung läßt sich daher so interpretieren: Waren zwei Teilchen einmal in Kontakt, so beeinflussen sie sich gegenseitig, unabhängig davon, wie weit sie sich inzwischen voneinander entfernt haben. Dies steht im Widerspruch zur Relativitätstheorie, es sei denn, sie beeinflussen sich durch eine bisher unbekannte Energieform. Wir können annehmen, daß zu einem Zeitpunkt alle Teilchen, die sich noch heute im Kosmos befinden, in Kontakt waren, eine Folgerung, die sich notwendig ergibt, wenn wir die Entstehung des Weltalls mit dem Modell des Urknalls, der Big-Bang-Theorie erklären wollen. In diesem Fall müßte dann noch heute eine Wechselwirkung zwischen allen Teilchen des Weltalls bestehen.

Hier finden wir wieder die alte hermetische Vorstellung, daß alles mit allem verbunden ist. Ich kann nur fragen: Und da sind die Physiker gegen Astrologen? Oder sollte man vielleicht sagen, die Astrologen haben ihre Physik-Hausaufgaben nicht besonders gut gemacht.

Bells Theorem läßt sich auch experimentell überprüfen. Eine relativ einfache Anordnung ist folgende: Man stelle sich eine Quelle vor, die zwei Photonen abgibt, die von zwei Instrumenten aufgefangen werden. Diese beiden Instrumente können beliebig weit voneinander entfernt - selbst durch das ganze Universum getrennt - sein. Nun ergibt sich folgendes: welche Eigenschaft auch das eine Meßinstrument mißt, die Messung am zweiten Meßinstrument ist abhängig vom Ergebnis der ersten Messung. Die Polarisierung des Lichtes ist eine Eigenschaft, die sich für eigne solche Messung eignet. Soweit ich weiß, sind bisher sieben Versuche zur Überprüfung von Bells Theorem durchgeführt worden, fünf bestätigen die Vorhersage, zwei nicht. Dennoch gilt Bells Theorem eben nur in dem Modell, das entwickelt wurde, um bestimmte Probleme der Quantenmechanik zu erklären.

Der englische Physiker David Bohm kommentierte das Ergebnis der Experimente folgendermaßen: „Es könnte bedeuten, daß sich alles im Universum in vollkommener Übereinstimmung befindet, so daß jedes Ereignis mit allen anderen Ereignissen in Verbindung steht. Es könnte aber auch bedeuten, daß es eine Art von Information gibt, die schneller als Licht ist. Und es könnte bedeuten, daß wir unsere Auffassung von Raum und Zeit auf eine Weise modifizieren müssen, die wir heute noch nicht verstehen.

In dieser Aussage wird wiederum deutlich, daß die Physiker Modelle zur Erklärung der experimentellen Ergebnisse erfinden und diese immer wieder modifizieren, sie an neue Ergebnisse anpassen. Die bekannteste Interpretation der Quantenmechanik, die auch von den meisten Physikern akzeptiert wird, ist die der Kopenhagener Schule, die auf Niels Bohr zurückgeht. Bohr benutzt in Zusammenhang mit der Interpretation der Quantenmechanik den Begriff „Komplementarität“. Damit ist gemeint, daß die Beschreibung eines Vorgangs in einem Modell nicht möglich ist, da dies zu Widersprüchen führt. Das bekannteste Beispiel ist das Teilchen- und Wellenbild des Lichts. Wir nehmen immer dasjenige Modell, das uns zur Erklärung eines beobachteten Phänomens günstiger erscheint. Die Naturwissenschaftler haben sich daran gewöhnt, zwischen den verschiedenen Modellen hin- und herzuspringen. Beide Modelle können nur einen Teil der Beobachtungen erklären, sie können aber nicht in einem einheitlichen Modell zusammengefaßt werden.

Aus der formalen Ähnlichkeit mit den alten Vorstellungen über die Dualität oder Polarität wird nun geschlossen, die Physik käme zu ähnlichen Vorstellungen wie die Mystik oder die hermetische Philosophie. Ken Wilber meint spöttisch zu der angenommenen Übereinstimmung von Physik und Mystik, diese Behauptung werde nicht für Botanik und Mystik oder Soziologie und Mystik aufgestellt, und auch für Physik und Mystik sei sie genauso unsinnig.

Die Modelle, mit denen die Naturwissenschaftler versuchen, die Welt zu beschreiben, führen zu Widersprüchen. Das bedeutet schlicht und einfach, daß ihre Modelle nicht ausreichend sind, die Welt zu erklären, jedoch nicht, daß sich die Naturwissenschaften bzw. die Physik den Vorstellungen der Mystik über die Welt annähern. Der entscheidende Punkt ist der: Die Naturwissenschaften konstruieren weiterhin eine Natur nach den Regeln der Logik, in der Quantenmechanik genauso wie vorher in der klassischen Mechanik. Die Mystik oder die mystische Erfahrung ist ein Erfahrensweg, der nicht den Gesetzen der Logik folgen muß. Aus den aufgetretenen Problemen zieht der Physiker Eugene Wigner den Schluß, die Quantenmechanik könne auf Körper mit Bewußtsein, also den Menschen nicht angewandt werden. Eine Lösung, die die Gentechnologen, die ja Biologie auf quantenmechanischer Grundlage betreiben, sicher nicht besonders gern sehen. Ich kann hier nicht alle Lösungsvorschläge vorstellen, die inzwischen diskutiert werden. Erwähnen möchte ich jedoch noch das „Anthropische Prinzip“. Nach dieser Vorstellung ist die Existenz des Kosmos für die des Menschen genauso wichtig wie die Existenz des Menschen für den Kosmos. Ohne Mensch kein Kosmos.

David Mermin veröffentlichte einen Aufsatz unter der Frage „Ist der Mond da, wenn niemand hinsieht?“ und gibt als Antwort: „Erwiesenermaßen ist der Mond nicht da, wenn keiner hinsieht.“ Das klingt verdächtig noch Solipsismus, nach der Auffassung, wir würden die Welt in unserem Kopf erschaffen.

Solche Vorstellungen haben ihren Reiz, den sie nicht zuletzt daraus ziehen, daß damit der Mensch wieder eine Bedeutung erlangt. War vor der Kopernikanischen Wende der Mensch das Maß aller Dinge, das Ebenbild Gottes, geschaffen noch seinem Bilde, so wurde er immer mehr an den Rand des Universums gerückt, wir leben auf einem kleinen Planeten einer kleinen Sonne am Rande einer Galaxie. Aber nun erhalten wir eine neue Bedeutung. Alles was wir unternehmen, hat einen Einfluß auf den Kosmos. Der Physiker, der sich entschließt, den Impuls bzw. die Geschwindigkeit eines Elektrons zu messen und nicht seinen Aufenthaltsort (beides gleichzeitig ist nicht möglich, sagt die Heisenbergsche Unschärferelation), entscheidet damit über die weitere Zukunft des Universums. Halten wir fest, die klassischen Vorstellungen der Physik werden in verschiedener Weise von Naturwissenschaftlern selbst in Frage gestellt, sie werden durch die Probleme dazu gezwungen neu nachzudenken.

Mit Mystik, Ganzheitlichkeit und ähnlichem hat das alles nichts zu tun. Niels Bohr stellte sogar fest, es gibt keine Quantenwelt, es gibt eine abstrakte quantenphysikalische Beschreibung. Es ist falsch anzunehmen, es sei die Aufgabe der Physik herauszufinden, wie die Natur sei, Physik interessiert sich nur für das, was wir über die Natur sagen beziehungsweise mathematisch formulieren können. So hat auch seiner Meinung nach die Beschreibung atomarer Phänomene einen vollkommen objektiven Charakter, da sie weiterhin vom individuellen Beobachter unabhängig ist.

Die Reproduzierbarkeit der quantenmechanischen Ergebnisse ist genauso gut gesichert wie bei klassischen physikalischen Experimenten, sonst ließe sich ja auch keine Technologie auf solchen quantenmechanischen Effekten aufbauen. Es hat sich auch nichts daran geändert, daß die Welt weiterhin mathematisch beschreibbar sein muß, die Mathematik ist nur etwas komplizierter geworden. Man hätte sie gerne etwas einfacher und hofft dies ja auch zu erreichen durch eine einheitliche Theorie der Naturkräfte, die die Physik derzeit kennt.

All das Gesagte gilt auch für eine andere neue Disziplin, die Thermodynamik irreversibler Systeme, oder die Theorie dissipativer Systeme oder die Synergetik (ich sehe keinen gravierenden Unterschied zwischen diesen Theorien). Dort wird uns gesagt, der Flügelschlag eines Schmetterlings in Peking bewirke ein Gewitter in New York. Dieses Bild wird gebraucht, um den Einfluß kleinster Schwankungen auf ein großes System zu erläutern. Dieser Einfluß ist erst durch den Einsatz von großen Computern berechenbar geworden. Anders gesagt, die Kausalität, die Argumentation: „immer wenn - dann“ ist in diesem Fall nicht zu halten. Diese Erkenntnis macht dann eine langfristige Wettervorhersage auch bei Einsatz noch so großer Rechner unmöglich. Es handelt sich um eine prinzipielle Grenze naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Selbstverständlich wird auch niemand argumentieren, wenn es keine Schmetterlinge mehr gibt - und dies wird möglicherweise in gar nicht so ferner Zukunft der Fall sein -, wird es auch keine Gewitter mehr geben.

Anders gefragt, was für Folgen ergeben sich eigentlich aus dem Geschwätz eines solchen Wissenschaftlers? Da die Fragen nach der Ursache eines bestimmten Vorgangs nach dieser Auffassung mehr oder weniger beliebig ist, könnte schließlich alles schuld sein. Machen wir also ruhig weiter wie bisher. Nicht die Vernichtung des Regenwaldes oder die Zunahme des Temperatur durch den Treibhauseffekt durch Kohlendioxid aus der Verbrennung führt zu kräftigeren Stürmen, sondern der Flügelschlag eines unschuldigen Schmetterlings. Sollte man dies nicht als wissenschaftliche Legitimierung der Verantwortungslosigkeit interpretieren? Holzen wir also weiterhin den Wald ab, verbrennen also weiterhin Öl und Kohle, für die Folgen worden wir schon jemand anderes verantwortlich machen können als uns Menschen und unsere Aktivitäten.

Ich möchte darauf zurückkommen, daß auch in den modernen Naturwissenschaften zwei Prinzipien der Alchemie oder hermetischen Philosophie weiterhin gültig geblieben sind. Zum einen die Vorstellung, die Welt sei mathematisch beschreibbar, eine Idee, die auf Pythagoras zurückgeht.

Den Alchemisten wird häufig vorgeworfen, sie hätten sich zuwenig um die Quantitäten gekümmert und nur die Qualitäten gesehen. Das ist so nicht richtig. Ein Synonym für die hermetische Philosophie oder Alchemie war Pythagoräismus. Die Bedeutung der Zahlen und der Mengenverhältnisse bei chemischen Reaktionen war den Alchemisten durchaus bekannt, aber sie wollten den ganzen Pythagoras, um mit Ernst Bloch zu reden, den der Einheit von Qualität und Quantität. Die Naturwissenschaften dagegen geben sich mit dem halben Pythagoras zufrieden, dem der Zahlen ohne Qualitäten. Edmund Husserl hat in seinem letzten Werk 'Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie' herausgearbeitet, daß es die Vernachlässigung der Qualitäten bzw. der „Füllen“ wie er sie auch nennt, war, die zu den Problemen führte, vor denen wir heute im Umgang mit der Natur stehen.

Einstein kann als ein weiterer Zeuge dafür gelten, daß eine mathematische Beschreibung der Welt nicht ausreicht, er sagte: „Sofern die Gesetze der Mathematik zutreffen, beziehen sie sich nicht auf die Realität, sofern sie sich aber auf die Realität beziehen, sind sie unzutreffend.“

Mit diesem Dilemma hatten schon die Pythagoräer zu tun. Einer der ihren, Hippasos von Metapontion (ca. 450 v. Chr.), hatte festgestellt, daß die Wurzel aus 2, die sich mit Zirkel und Lineal ohne weiteres konstruieren läßt, sich nicht als ein Bruch aus rationalen Zahlen darstellen läßt. Mit der Vorstellung, die Welt sei in rationalen Zahlen beschreibbar, war es also nichts. Für den Verrat dieser Tatsache wurde Hippasos vom Gott des Meeres bestraft, er ertrank bei einem Schiffbruch.

Ein zweites Prinzip, das erstaunlicherweise immer noch in den Naturwissenschaften gültig ist, ist das der Analogie von Makrokosmos und Mikrokosmos. Zwar wird hierunter nicht mehr eine Analogie von Mensch und Kosmos verstanden, aber die Naturwissenschaften gehen davon aus, daß die Gesetze universell gültig sind und daher die Lösung der Rätsel der Quantenmechanik, die die atomare Welt beschreibt, zur Lösung der Rätsel des Kosmos führen.

Eines der einfachsten Atommodelle, das zu Beginn unseres Jahrhunderts erfunden wurde, das sogenannte Planetenmodell, nahm sich das Planetensystem zum Vorbild: so wie die Planeten um die Sonne kreisen, so die Elektronen um den Atomkern. So einfach erwies sich das Atommodell leider doch nicht. Umgekehrt könnte man sich natürlich fragen, ob das Planetensystem eigentlich wirklich so einfach ist, wie wir es in der Schule lernen, oder ob dies nicht auch komplexer ist?

Immerhin gibt es einige Merkwürdigkeiten im Planetensystem, zum Beispiel: Die Rotationsgeschwindigkeit des Jupiter ist fünfmal höher als die der Sonne und er strahlt mehr Energie ab, als er von der Sonne erhält, die Venus dreht sich linksläufig um ihre Achse und strahlt ebenfalls mehr Energie ab, als die von der Sonne erhält. Bisher gibt es für diese Merkwürdigkeiten keine zufriedenstellende Erklärung.

Aus der Wissenschaft des Altertums und des Mittelalters ging selbstverständlich unsere heutige Wissenschaft hervor, sie ist nicht traditionslos. Doch es war nur ein Strang, der zu unserer Wissenschaft führte, es geht darum, uns die andere Hälfte des Pythagoras wieder bewußt zu machen.

Eine andere Art von Wissenschaft war die Alchemie, die in der Geschichte eine bedeutende Rolle spielte, die immer ganzheitlich war, die den Qualitäten ihre Bedeutung ließ. Sie mußte aber der neuen Wissenschaft weichen, die nur noch Zahlen, quantitative Relationen akzeptierte. Das Studium dieser anderen Wissenschaft kann uns vielleicht helfen, die Natur wieder besser zu verstehen. Dazu bedarf es aber anderer Erkenntnisformen als die der Naturwissenschaften, Erkenntnisformen wie wir sie aus der Kunst kennen, die wir als Hermeneutische Methoden kennen, und die damit wiederum auf den legendären Begründer der Alchemie Hermes Trismegistos verweisen. Möge diese neugegründete Zeitschrift dazu beitragen.

Helmut Gebelein

Literatur

Arendes, L.: Das Realismusproblem in der Quantenmechanik, Justus-Liebig-Universität Gießen, 1988.

Chargaff, E.: Das Feuer des Heraklit, Klett und Cotta, Stuttgart, 1979.

D'Espagnat, B.: Quantentheorie u. Realität, Spektrum der Wissenschaft, 1980, 1, S. 69.

Gebelein, Helmut: Alchemie, Eugen Diederichs Verlag, München, 1991

Husserl, E.: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenolgie, Martinus Nijhoff, Den Haag, 1976.

Kant, I.: Kritik der reinen Vernunft, Verlag Felix Meiner, Hamburg, 1956.

Kant, I.: Metaphysis. Anfangsgründe d. Naturwissenschaft, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1975.

Pietschmann, H.: Das Ende des naturwissenschaftlichen Zeitalters, Ullstein, Frankfurt/Berlin/Wien, 1983.

Wilson, R. A.: Die neue lnquisition, Verlag 2001, Frankfurt, 1992, S. 23

  1. PIETSCHMANN, 1983, S. 58
  2. CHARGAFF, 1979, S. 232
  3. KANT, 1956, S. A. 125 und A 127
  4. KANT, 1975, S. 56
  5. Zitiert nach ARENDES, 1988, S. 32
  6. Zitiert nach ARENDES, 1988, S. 52
  7. Siehe WILSON, 1992, S. 149ff. und D'ESPAGNAT, 1980
  8. Zitiert nach WILSON, 1992, S. 161
  9. Ich verweise zu weiterführender Lektüre besonders auf ARENDES, 1988 und WILSON, 1992
  10. ARENDES, 1988. S. 24
  11. HUSSERL, 1976
  12. Zitiert nach WILSON, 1992, S. 23

 

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